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die ’neue‘ pflichtverteidigung
24.09.22
Die ’neue‘ Pflichtverteidigung
niemand darf unverteidigt vor gericht stehen
24.09.2022 * 13.00 – 19.30 Uhr
ZUM THEMA DER TAGUNG
Ein gut verteidigter Beschuldigter dient der Wahrheitsfindung im konkreten Fall, ein unverteidigter schadet dem ganzen Rechtsstaat. Im Mai 2019 lief die Umsetzungsfrist der sog. PKH-Richtlinie der EU 2016/1919 ab. Der deutsche Gesetzgeber regelte die Beiordnung von Pflichtverteidiger*innen (verspätet) neu ab Dezember 2019. Die Hoffnung auf den/die sog. Verteidiger* in der ersten Stunde wurde aber nur teilweise erfüllt. Vielmehr ergaben sich neue Schwierigkeiten; alte Probleme, die im Zusammenhang mit der Auswahl von Pflichtverteidiger*innen durch Richter*innen stehen, wurden nicht gelöst, sondern vertieften sich z.T. sogar. Dabei handelt es sich offenkundig nicht um ein lokales oder regionales, sondern ein strukturelles Problem. Die Reform hat zwar neue Begriffe etabliert (Verteidiger der ersten Stunde), in der Praxis hat sich, wie Verteidiger*innen bundesweit bemängeln, kaum etwas geändert. Die Beiordnung von Pflichtverteidiger*innen ist nachwievor intransparent und von der Willkür der Richter*innen abhängig, anwaltliche Berufsvertretungen spielen bei der Beiordnungspraxis praktisch keine Rolle. Dies liegt auch daran, dass die Anwaltschaft bei der Diskussion um eine Reform der Beiordnungspraxis kein starkes und geschlossenes Bild abgegeben hat.
Die Veranstaltung greift die seit Jahren geführte Debatte um die Pflichtverteidiger*innenbeiordnung erneut auf. Es wird um (verpasste) Chancen, ernüchternde Realitäten, aber auch um Perspektiven für weitere Reformen gehen.
Die Veranstaltung findet ausschließlich online statt. Teilnehmer*innen können sich mit Ihrem Passwort über die Tagungsseite in die Videokonferenz einloggen.
PROGRAMM
Samstag, 24. September 2022
13.00 – 19.30 Uhr
Online-Panels: Referate & Diskussion
Panel 1 : Verteidiger*in der ersten Stunde – Was kann und was sollte das Beiordnungsrecht leisten?
13.00 – ca. 15.30 Uhr
• Dr. Sarah Zink / Goethe Universität Frankfurt/Main
• Rechtsanwalt Dr. Felix Fleckenstein / Strafverteidiger, Frankfurt/Main
Moderation: Rechtsanwältin Johanna Braun / Strafverteidigerin München & Rechtsanwalt Thomas Kümmerle / Strafverteidiger Berlin
Dr. Sarah Zink – Stand der Gesetzgebung und die aktuelle Rechtslage
Die Referentin stellt die aktuelle Rechtslage in Deutschland sowie die zugrundeliegende EU-Richtlinie vor und vergleicht die europäischen Vorgaben mit der nationalen Umsetzung in Deutschland. Wurden die Vorgaben tatsächlich vollständig und sinnvoll umgesetzt? Sie wirft zugleich einen Blick auf die Rechtsprechung.
RA Dr. Felix Fleckenstein: Was sollte und könnte ein gutes Beiordnungsrecht leisten?
Strafverteidiger*innen verbanden mit der EU-Richtlinie zur notwendigen Verteidigung große Hoffnungen auf ein Ende des eines Rechtsstaats unwürdigen Zustands unverteidigter (bspw. in Strafbefehlsverfahren) oder mangelhaft verteidigter Beschuldigter. Das vielbeklagte Unwesen staatlich alimentierter Verurteilungsbegleitung, die intransparente Beiordnungspraxis mit der Folge, dass die immer gleichen notorischen Pflichtverteidiger*innen beigeordnet werden, von denen keine Störung des auf Verurteilung zielenden Verfahrens zu erwarten ist, sollten abgelöst werden durch ein Beiordnungssystem, das aufgrund objektiver (Qualitäts-)Kriterien, transparent und unter Vermeidung von Willkür die Beiordnung von Pflichtverteidiger*innen regelt. Was ist aus diesen Hoffnungen und Forderungen geworden? Der Referent gleicht die Forderungen von Anwaltsverbänden und insbesondere der Strafverteidigervereinigungen mit dem Ergebnis des Gesetzgebungsprozess ab.
Panel 2 : Raider heißt jetzt Twix – Hat die Reform des Beiordnungsrechts mehr gebracht als ein paar neue Begriffe?
ca. 15.30 – 17.30 Uhr
• Rechtsanwalt Thomas Scherzberg / Strafverteidiger Frankfurt/Main
• Rechtsanwältin Denise Gerull / Strafverteidigerin Köln
• Rechtsanwalt Philip Müller / Strafverteidiger München
• Rechtsanwalt Dr. Toralf Nöding / Strafverteidiger Berlin
Moderation: Rechtsanwältin Johanna Braun / Strafverteidigerin München & Rechtsanwalt Thomas Kümmerle / Strafverteidiger Berlin
RA Thomas Scherzberg : Es wäre vieles möglich, wenn…
Auch unter den bestehenden gesetzlichen Regelungen könnte die Beiordnungspraxis besser organisiert werden. In Frankfurt haben Strafverteidiger*innen bereits vor längerem auf Eigeninitiative versucht, die Beiordnungspraxis transparenter zu gestalten. In Absprache mit Ermittlungsrichtern wurde eine Art »Jour-Dienst« eingerichtet: Zu den üblichen Zeiten war stets mindestens ein Anwalt bei Gericht präsent, um als »neutraler« – sprich: nicht handverlesener – Verteidiger der ersten Stunde zur Verfügung zu stehen. Ermittlungsrichter*innen machten allerdings nicht ein einziges mal von dem Angebot Gebrauch, das in Absprache mit ihnen eingerichtet worden war. Als erste führte die Vereinigung Hessischer Strafverteidiger*innen eine ausführliche Evaluation der Beiordnungspraxis am Amtsgericht Frankfurt am Main durch.
Der Referent berichtet über die Ergebnisse der Evaluation, von der Beharrlichkeit der Justizverwaltung beim Festhalten am altbewährt Falschen und fragt nach Alternative. Was wäre, wenn die Auswahl der/des Anwält*in der ersten Stunde nicht durch die Richter*innen, sondern durch Anwaltsorganisationen erfolgte?
RAin Denise Gerull, RA Philip Müller, RA Dr. Toralf Nöding : Die alte neue Pflichtverteidigung – Beiordnung in der Praxis
Berichte über die lokale Praxis der Pflichtverteidiger*innenbeiordnung von Rechtsanwältin Denise Gerull (Köln/Brühl), Rechtsanwalt Philip Müller (München) und Rechtsanwalt Dr. Toralf Nöding (Berlin). Die Fallbeispiele aus der Praxis sollen aufzeigen, wie sich die Situation entwickelt hat. Dargestellt wird insbesondere die Lage bei den Haft- oder Ermittlungsrichtern in Eilsachen und der Umgang mit den eingerichteten, unabhängigen Notdiensten.
Wir freuen uns, wenn die Teilnehmer*innen Ihre eigenen Erfahrungen mit der »neuen« Beiordnungspraxis beitragen.
Panel 3 : Diskussion & Ausblick: Die nächste Reform tut Not. Wie soll sie aussehen?
18.00 – ca. 19.30 Uhr
• RAA Mag. Birgit Kaiser / Strafverteidigerin Österreich
• Rechtsanwalt Marc N. Wandt / Strafverteidiger Wuppertal
• Dr. Sarah Zink / Goethe Universität Frankfurt/Main
Moderation: Rechtsanwalt Daniel Amelung / Strafverteidiger München
material
Policy Paper – Neuordnung der Pflichtverteidigerbestellung / Mai 2018
Anlässlich der EU-Richtlinie 2016/1919 haben die Strafverteidigervereinigungen Anfang 2018 Ziele und Möglichkeiten einer Reform der Pflichtverteidigerbeiordnung nach deutschem Recht formuliert.
EU-Richtlinie 2016/1919 v. Oktober 2016 (Amtsblatt der Europäischen Union
Stellungnahme der BRAK (Januar 2019) – Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung
Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen (Dez. 2018) z. Neuregelung der notwendigen Verteidigung
Lefter Kitlikoglu: Necessity, no luxury, SchrStvV, Bd. 43, 259 ff
M. Jahn: Die Praxis der Pflichtverteidigerbestellung, SchrStvV Bd. 41, 147 ff.
M. Jahn / S. Zink: (Wie) wolle mer se reinlasse?; SchrStvV Bd. 43, 305 ff.
Vortrag Frau Dr. Zink vom 24.09.2022
RAA Mag. Birgit Kaiser
Info Verteidigernotruf
RAA Mag. Birgit Kaiser
Vortrag Pflichtverteidigung“ in Österreich
referent*innen
Daniel Amelung ist deutschlandweit als Strafverteidiger tätig und im Vorstand der Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V. Im vergangenen Jahr hat er das Online Forum Strafverteidigung mit seinen Interviewbeiträgen bereichert.
Johanna Braun st Strafverteidigerin in München und Mitglied im Vorstand der Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V. Gemeinsam mit RA Nico Werning hat sie in der Mitgliederzeitung „Freispruch“ einen Beitrag über „verbeamtete anwälte“ verfasst.
Dr. Felix Fleckenstein ist Strafverteidiger in Frankfurt am Main und hat am Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie der Goethe-Universität Frankfurt promoviert.
Denise Gerull ist Strafverteidigerin in Brühl bei Köln und Dozentin am Bundesverwaltungsamt.
Birgit Kaiser ist als Rechtsanwaltskonzipientin in Österreich tätig und selbstständige Unternehmerin.
Thomas Kümmerle war viele Jahre in Berlin als Strafverteidiger tätig. Seit 2021 ist er daneben Leiter der Abteilung Recht und Interessenvertretung des BVSK e.V.
Philip Müller unterstützt als Strafverteidiger in München die im Jahr 2021 entstandene „Taskforce Pflichtverteidigung“.
Dr. Toralf Nöding ist Strafverteidiger in Berlin, war lange Zeit Mitglied im Vorstand der Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen und ist Autor des Praxishandbuchs zur Jugendstrafverteidigung.
Thomas Scherzberg ist Strafverteidiger in Frankfurt am Main und war lange Jahre Vorsitzender der Vereinigung Hessischer Strafverteidiger. Im März 2016 hielt er den Eröffnungsvortrag des 40. Strafverteidigertages.
Marc N. Wandt ist Strafverteidiger in Wuppertal. Er ist Herausgeber und Autor der Festschrift zum 70. Geburtstag von Detlef Burhoff. Wandt verteidigt als Wahl- und Pflichtverteidiger deutschlandweit.
Dr. Sarah Zink arbeitet am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtstheorie (Prof. Dr. Matthias Jahn) an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sie ist Autorin der 2019 erschienen Monografie zum Thema: Autonomie und Strafverteidigung zwischen Rechts- und Sozialstaatlichkeit. Das deutsche Modell notwendiger Verteidigung im Lichte der Prozesskostenhilfe-Richtlinie (RL (EU) 2016/1919).
mediathek
Aufzeichnung der Online-Panels
vom Samstag, 24. September 2022
technische hinweise
Videokonferenz & Live-Bühne:
Die Panels 1 – 3 finden als Videokonferenz statt. Der Zugangslink wird Ihnen auf der sog. „Live-Bühne“ kurz vor Beginn der Veranstaltung angezeigt. Zusätzlich erhalten Sie von uns vor Beginn der Veranstaltung einen Zugangslink per E-Mail.
Die Diskussion am Sonntag (14.00 bis 16.00 Uhr) findet live statt und wird – für diejenigen, die nicht dabei sein können oder wollen – gestreamt. Der Stream ist über die „Live-Bühne“ abrufbar. Bitte melden Sie sich hier mit Ihrem vollen Namen im Chat an.
Anerkennung der Fortbildungsstunden:
Die Bescheinigung von Fortbildungsstunden ist nach § 15 Abs. 2 FAO an folgende Voraussetzungen geknüpft:
- Als Fortbildung bescheinigt werden kann nur die Teilnahme an Live-Veranstaltungen.
Eine durchgängige Teilnahme muss nachgewiesen werden. - Wir sichern zu diesem Zweck Ihre Log-In Daten und fordern Sie während der Videokonferenz in unregelmäßigen Abständen auf, ein Ausrufezeichen in den Chat zu schreiben.