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zur strafbarkeit von schwangerschaftsabbrüchen
rechtspolitischer salon
16. Oktober 2022 * 18.00 Uhr
rechtspolitischer salon
zur strafbarkeit von schwangerschaftsabbrüchen
16. OKTOBER 2022 * 18.00 Uhr
Live in und im livestream aus der taz Kantine in Berlin
ZUM THEMA:
„Wenn es nach der Staatsanwaltschaft ginge, dann gäbe es hier nicht eine einzige Notlage die von Belang wäre – außer vielleicht der des trefflichen Richters Ott.“
(Sebastian Cobler, Verteidiger des Frauenarztes Horst Theißen während des Prozesses wegen illegalen Schwangerschaftsabbruchs vor dem LG Memmingen)
Mit der Streichung des § 219a StGB und – praktisch zeitgleich – dem vielbeachteten Urteil des US Supreme Courts (mit dem das Grundsatzurteil ›Roe vs. Wade‹ zurückgenommen wurde) wurde auch das strafrechtliche Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen hierzulande für kurze Zeit wieder zum Gegenstand öffentlicher Debatten. Immerhin findet sich auch im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung die Ankündigung, eine »Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin« einzurichten und Bundesfamilienministerin Lisa Paus sprach sich im Juli dafür aus, die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen (wieder) zum Bestandteil der ärztlichen Ausbildung zu machen. Fast scheint es, als würde – anderthalb Jahrhunderte nachdem die Pflicht zur Austragung einer Schwangerschaft durch das strafbewehrte Verbot des Schwangerschaftsabbruchs in das RStGB eingeschrieben wurde – endlich eine Reform des umkämpften § 218 StGB möglich werden. Oder doch nicht?
Denn zugleich ist die Bewegung der sog. Lebensschützer erstarkt und sorgt mit öffentlichen Aktionen – wie dem »Marsch für das Leben« –, der Belagerung von Kliniken, Arztpraxen und Beratungsstellen, aber auch durch die Einschüchterung exponierter Befürworter*innen einer reproduktiven Selbstbestimmung für Aufsehen. Mit der AfD ist eine Partei im Bundestag vertreten, die der radikalen Lebensschützerszene nahesteht und noch vehementer als die Unionsparteien jede Liberalisierung im Bereich der reproduktiven Selbstbestimmung zu verhindern sucht.
Unter Jurist*innen herrscht demgegenüber weitgehend Einigkeit darüber, dass § 218 StGB in seiner jetzigen Fassung reformbedürftig ist, alleine schon, weil die bestehende Norm in sich widersprüchlich ist. Schwangerschaftsabbrüche werden bspw. unter bestimmten Voraussetzungen als rechtswidrig, aber nicht tatbestandsmäßig gefasst; sie werden einerseits gemeinsam mit den Tötungsdeliktsnormen als Straftat gegen das Leben im 16. Abschnitt des StGB geregelt, während sie als Beendigung eines ungeborenen Lebens andererseits eine Sonderstellung einnehmen und kein Tötungsdelikt darstellen. Und während das Bundesverfassungsrecht den staatlichen Schutzauftrag auch für das ungeborene Leben betont, gilt der strafrechtliche Schutz durch Tötungsdeliktsnormen nach hM erst mit dem Einsetzen der geburtseinleitenden Wehen.
In der strafrechtlichen Praxis indessen spielt die Norm praktisch keine Rolle. In 2020 gab es insgesamt sieben Verurteilungen nach § 218 StGB, davon fünf gegen männliche Beschuldigte, wobei davon auszugehen ist, dass es sich bei wenigstens einem Teil der Taten um Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte gegen eine schwangere Person handelte, die das Absterben des Fötus zur Folge hatten. Die Zeiten der modernen Hexenprozesse, wie gegen den Memminger Frauenarzt Dr. Theißen, scheinen – zumindest vorerst – vorbei. Das strafrechtliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs hat sich zu symbolischem Strafrecht entwickelt.
Das bedeutet nicht, dass es wirkungslos bleibt. Das mit dem Verbot einhergehende Unwerturteil stigmatisiert nicht nur ungewollt schwangere Personen, die sich gegen die Austragung entscheiden, sondern auch Ärzt*innen und erschwert Ausbildung und gute medizinische Versorgung. Die Folge ist, dass sich die Versorgungssituation ungewollt schwangerer Personen in Deutschland dramatisch verschlechtert hat. 50 Jahre nach dem – mittlerweile als Meilenstein bundesrepublikanischer Geschichte angesehenen – berühmten Titelbild des ›Stern‹ (»Wir haben abgetrieben!«) ist die Versorgung von Frauen, die einen Abbruch vornehmen lassen möchten, hierzulande derart schlecht und lückenhaft, dass ungewollt schwangere Frauen erneut in liberalere Nachbarländer ausweichen. Eine substantielle Verbesserung ist auch hier erst zu erwarten, wenn das strafrechtliche Verbot endlich fällt.
Neben einer Bestandsaufnahme soll es daher auch um die Frage gehen, wie eine Reform des § 218 StGB konkret aussehen könnte.
Es diskutieren:
Valentina Chiofalo – wiss. Mitarbeiterin am FB Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin
Prof. Dr. Ulrike Lembke – lehrt öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität Berlin
Lana Saksone – ist Ärztin un Mitarbeiterin bei Doctors for Choice
Moderation: Thomas Uwer, Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen
mitreden
Bitte melden Sie sich für die Teilnahme vor Ort formlos per E-Mail an.
Der rechtspolitische Salon findet statt in der Kantine der taz (tageszeitung), Friedrichstr. 21, 10969 Berlin.
Bitte kommen Sie rechtzeitig vor Beginn der Veranstaltung; Einlass ab 17.30 Uhr.
material
„Frauen haben keine Gebärpflicht“ Interview mit Prof. Dr. Ulrike Lembke (lto)
Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zur Streichung des § 219a StGB
Memmingen: Abtreibung vor Gericht, Dokumentation und Einschätzung 1989 (221 Seiten)
Schwangerschaftsabbruch in DDR und BRD, Dossier im Digitalen deutschen Frauenarchiv
Katharina van Elten: Abbruch. Der Fall von Roe v. Wade
Themenheft „Abtreibung“ – Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 20/2019)
referentinnen
Lana Saksone ist Ärztin in Berlin und Mitglied von DOCTORS FOR CHOICE.
Valentina Chiofalo ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU Berlin.
Prof. Dr. Ulrike Lembke lehrt öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität Berlin.