auftakt

Dokumentation des
Strafverfahrens

28. & 29. mai 2022

28. – 29. mai 2022

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auftakt:

Dokumentation des Strafverfahrens

Möglichkeiten & Folgen technischer Dokumentation im Strafverfahren

Umfang: ca. 8 Stunden

• referate
• diskussion
• live-stream
• digitales materialheft

Samstag, 28. Mai 2022
13.00 – 18.00 Uhr
Online-Panels:

1 : Ermittlungsverfahren

2 : Hauptverhandlung

Sonntag, 29. Mai 2022
10.30 – 12.30 Uhr

Online-Panel

3 : Allgemeine Probleme

Sonntag, 29. Mai 2022
14.00 – 16.00 Uhr

4 : Diskussion im livestream oder vor Ort in der taz Kantine in Berlin

 

Diese Szene kennt jeder: In einem fensterlosen Raum aus poliertem Sichtbeton mit Spiegelwand setzt sich der Tatortkommissar mit einem Becher Automatenkaffee dem Verdächtigen gegenüber und schaltet das Tonband an. Die Vernehmung beginnt. Das Mikrofon gehört so selbstverständlich auf den Tisch des Tatortkommissars, wie die Bierflasche auf den Couchtisch des Zuschauers. Dass die Realität anders aussieht, weiß der Zuschauer in der Regel nicht, aber jeder, der einmal mit dem strafrechtlichen Verfahren in Deutschland in Berührung gekommen ist.

Polizeiliche Vernehmungen – ob von Zeugen oder Beschuldigten – werden in der Regel nicht aufgezeichnet, auch wenn das Gesetz die (audio-visuelle) Dokumentation nicht ausschließt. Vielmehr werden polizeiliche Vernehmungen und die dort gemachten Aussagen im Normalfall von den Vernehmungsbeamten selbst durch Mitschriften oder Diktat festgehalten und in einem anschließenden Protokoll zusammengefasst bzw. – wie es auch heißt – »konsekutiv zusammenfassend paraphrasiert«. Diese geradezu archaische Dokumentationstechnik verleiht dem Vernehmungsbeamten eine unangemessene Definitionsmacht über den Inhalt des Vernehmungsprotokolls. Sie hat zur Folge, dass vielfach Fragen nicht wortgetreu, sondern vereinfacht protokolliert werden, Vorhalte im Protokoll gar nicht oder nur durch den Hinweis »auf Vorhalt« gekennzeichnet werden, ohne dass der Inhalt des Vorhaltes nachvollziehbar wird und schließlich dass die Antworten der befragten Personen in einer zusammenfassenden und paraphrasierenden Form, mithin nur selektiv protokolliert werden.

Dies gilt auch für die nachfolgende Hauptverhandlung, die nicht selten ganz wesentlich durch den Versuch der Rekonstruktion des Ermittlungsverfahrens geprägt ist, etwa wenn es darum geht, festzustellen, wie eine Vernehmung tatsächlich gelaufen ist. Denn das in der Form der konsekutiven Paraphrasierung gewonnene Vernehmungsprotokoll ist nicht ein spiegelgetreues Abbild der stattgefundenen Vernehmung, sondern ein durch die Aufgabenstellung des Vernehmungsbeamten und seine Ermittlungshypothesen bedingtes Konstrukt.

Die vollständig dokumentierte Aussage gibt nicht nur der richterlichen Überzeugungsbildung eine verlässlichere Grundlage, sondern auch den aussagepsychologischen Sachverständigen, für deren Einschätzung vor allem der Erstaussage großes Gewicht zukommt. Im Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien nunmehr angekündigt, die seit langem geforderte Dokumentation des Strafverfahrens sowohl im Haupt- als auch im Vorverfahren einzuführen. Denn auch der Verlauf der Hauptverhandlung bleibt im Wesentlichen undokumentiert und wird lediglich im richterlichen Protokoll zusammenfassend festgehalten. Bemängelt wird dies seit Jahrzehnten – bereits der 63. Deutsche Juristentag im Jahr 2000 nahm sich des Themas an, 2010 legte die BRAK eine Stellungnahme mit konkreten Regelungsvorschlägen vor, in der vergangenen Legislaturperiode arbeitete eine Expert*innenkommission mögliche und notwendige Reformen heraus. Gleichwohl wird die Einführung der audio- visuellen Dokumentation des Vorund Hauptverfahrens nicht nur Widerstand bei den Justizverwaltungen und Teilen der Richterschaft hervorrufen, sondern auch konkrete Umsetzungsprobleme mit sich bringen:

  • Wer erhält auf welche Weise Zugriff auf die Aufzeichnungen (Akteneinsichtsrecht) und welche Einschränkungen sind aufgrund der Persönlichkeitsrechte Aufgezeichneter zu erwarten? Bereits jetzt werden Aufzeichnungen gem. § 136 Abs. 4 S. 2 StPO der Verteidigung regelhaft nicht zur Akte mitgegeben.
  • Sollten Aufzeichnungen transkribiert werden (inkl. der automatisierten ›technischen Transkription‹ mit all ihren Fehlern)?
  • Welche Beweisverwertungsverbote müssen bei der audio-visuellen Vernehmung Beschuldigter greifen?
  • Welche Gefahren erwachsen aus einem Transfer der Aufzeichnungen in die Hauptverhandlung (Unmittelbarkeitsprinzip) und wie kann die Wahrnehmung von Zeugnisverweigerungsrechten gestaltet werden?

Mit diesen Fragen befasst sich die Online- Tagung am letzten Samstag und Sonntag im Mai. Die Veranstaltung schließt mit einer Diskussionsrunde und einem Ausblick auf die zu erwartenden Reformen.

Angemeldete Teilnehmer*innen erhalten Zugriff auf ein digitales Materialheft mit wichtigen Dokumenten und Beiträgen zum Thema.

panel 1 : ermittlungsverfahren

28. Mai 2022 / 13.00 – ca. 15.30 Uhr

 

mit:
• Prof. Dr. Robert Esser – lehrt Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Passau
• Rechtsanwältin Dr. Jenny Lederer – ist Strafverteidigerin in Essen
• Dr. Tobias Wickel – ist Strafverteidiger in Ulm

Moderation: RA Dr. Shahryar Ebrahim-Nesbat (Hamburg) / RA Stephan Schneider (Berlin)

Falsch, unvollständig, verzerrend zusammengefasste oder wertend protokollierte Vernehmungen sind eine zentrale Fehlerquelle im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Dies betrifft sowohl die Ermittlungstätigkeit selbst, die sich i.d.R. auf konsekutiv zusammenfassende Inhaltsprotokolle bezieht – die einer Ermittlungshypothese folgend wiedergeben, was dem/der Vernehmungsbeamt*in zum Zeitpunkt der Vernehmung relevant erscheint – als auch das spätere Hauptverfahren, in das die Ergebnisse dieser Vernehmungsprotokolle einfließen. Eine möglichst lückenlose (audio-visuelle) Dokumentation soll, so die Hoffnung, Vernehmungssituation und -verlauf dokumentieren und der Wahrheitsfindung im Strafprozess dienen, weil Vernehmungsfehler (wie Suggestivbefragungen), ausgebliebene oder mangelhafte Belehrungen und Protokollierungs- oder Verständnisirrtümer anhand der Aufzeichnung oder Wortprotokolls aufgedeckt werden können.

Wie aber soll eine Dokumentationspflicht von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren ausgestaltet werden? Konkret: Für wen sollte sie gelten und bei welchen möglichen Tatbeständen sollte sie obligatorisch sein? Sollte eine audio-visuelle Dokumentationspflicht – wie mitunter angeregt – ausschließlich bei Verbrechenstatbeständen bestehen und sich rein auf Beschuldigtenvernehmungen beschränken, die Vernehmung wichtiger Zeugen aber wie gehabt ›protokolliert‹ werden? Wie kann verhindert werden, dass die Pflicht zur Dokumentation regelhaft mit Verweis auf eine Gefährdung der Ermittlungsziele umgangen wird oder (später) Beschuldigte vorab als Zeugen undokumentiert vernommen werden? Aus Sicht der Strafverteidigung kann dies nur durch strikte Beweisverwertungsverbote erfolgen – aber wie sollen diese ausgestaltet werden?

Bislang hat der Gesetzgeber eben diese Fragen weitgehend unbeantwortet gelassen. Die mit der Reform der StPO von 2017 (›Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Gestaltung des Strafverfahrens‹) vorgenommene Ausweitung und Konkretisierung der Bild-Ton-Aufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren hat neben dem allgemeinen Festhalten an einer ›Kann-Regelung‹ (in § 136 Abs. 4 S. 2 StPO) zwar die Verpflichtung zu einer Bild-Ton-Aufzeichnung bei vorsätzlich begangenen Tötungsdelikten (§ 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StPO) gebracht, allerdings zugleich Wege zu ihrer Umgehung geebnet (sofern »weder äußere Umstände noch besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen«) und weder geregelt, wie die Aufzeichnung der Vernehmung ablaufen soll, noch zur Klärung beigetragen, ob aus einer Verletzung der Aufzeichnungspflicht ein Beweisverwertungsverbot erwächst.

Für die Verteidigung stellen sich darüber hinaus aber auch ganz praktische Fragen: Wie bspw. kann das Recht der Verteidigung auf eine Kopie der Aufzeichnung jenseits der »Besichtigung« (in der Geschäftsstelle) (§ 58a Abs. 3 S. 2 StPO) sichergestellt werden? Denn die Zahl der Bild-Ton-Aufzeichnungen wird durch eine Ausweitung der Aufzeichnungspflicht steigen. Welche Bestandteile einer Vernehmung sind relevant und daher aufzuzeichnen und welche Aufzeichnungsregeln gilt es zu formulieren, um sicherzustellen, dass die eigentliche Vernehmung nicht in informellen Outside-the-record-Gesprächen stattfindet? Und schließlich sind auch technische Fragen der Bildaufnahme von Relevanz. Studien aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum legen nahe, dass die Wahrnehmung videographierter Aussagen in erheblichen Maße von Kameraeinstellungen und sogar Beleuchtung geprägt wird.  

panel 2 : hauptverfahren
28. Mai 2022 / ca. 15.30 – 18.00 Uhr

mit:
• RA Prof. Dr. Jan Bockemühl – ist Strafverteidiger in Regensburg
• RA Dr. Christoph Nickolaus – ist Strafverteidiger in Wiesbaden
• RAin Dr. Canan Yüksel – ist Strafverteidigerin in Hamburg

Moderation: RA Dr. Shahryar Ebrahim-Nesbat (Hamburg) / RA Stephan Schneider (Berlin)

Die Ausweitung audio-visueller Aufzeichnungen wird das strafrechtliche Hauptverfahren unmittelbar verändern – und zwar in gleich zweierlei Weise: durch die Einführung audio-visuell aufgezeichneter Vernehmungen aus dem Ermittlungsverfahren in das Hauptverfahren einerseits, durch die (audio-visuelle) Dokumentation der Hauptverhandlung selbst andererseits.

So sehr die (audio-visuelle) Dokumentation von Vernehmungen also der Wahrheitsfindung dienen mag, so sehr birgt sie doch auch die Gefahr einer weiteren Durchbrechung des Unmittelbarkeitsprinzips und des Konfrontationsrechts in der Hauptverhandlung und damit einer weiteren Verpolizeilichung des strafrechtlichen Hauptverfahrens. Dies gilt umso mehr, als mit dem letzten Gesetz zur »Modernisierung des Strafverfahrens« wichtige Verfahrensrechte von Beschuldigten und ihrer Verteidigung beschnitten wurden, die der Korrektur des aus der Ermittlungsakte übernommenen Vorverständnisses dienen.

Die Dokumentation der Hauptverhandlung selbst wird von Strafverteidiger*innen seit vielen Jahren gefordert. Dass die deutsche Strafjustiz sich weiter auf handschriftliche Notizen verlässt ist im internationalen Vergleich ein Alleinstellungsmerkmal der besonderen Art; Fälle, wie jene des Bauern Rupp, sind Legende. Auswirkungen wird eine umfassende Dokumentation der Hauptverhandlung über die revisionsrechtlichen Konsequenzen hinaus auch auf den Verlauf der Hauptverhandlung selbst haben. Dabei ist in einem ersten Schritt zu regeln, wie und wann der Zugriff auf die Verfahrensmitschnitte und/oder daraus geschöpften Wortprotokolle erfolgt. Um – bspw. auf dem Wege eines Vorhalts – eine unzutreffende, unvollständige oder fehlinterpretierende Wiedergabe der zuvor erfolgten Beweisaufnahme richtig zu stellen, muss der Zugriff der Verteidigung auf Mitschnitt und Protokoll möglichst unmittelbar erfolgen können — notfalls durch Unterbrechung. Dies ist insbesondere bei Verfahren bedeutsam, die sich nicht über mehrere Hauptverhandlungstage erstrecken.  

panel 3 : allgemeine probleme
29. Mai 2022 / ca. 10.30 – 12.30 Uhr

mit: RA Jes Meyer-Lohkamp – ist Strafverteidiger in Hamburg

Die (audio-visuelle) Dokumentation im Strafverfahren wirft – sowohl für das Haupt- wie auch für das Vorverfahren – allgemeine Fragen auf, die für die Verteidigung bedeutsam sind. Wie bspw. können Akteneinsichtsrechte des Beschuldigten resp. Verteidigung und Persönlichkeitsrechte von Vernommenen in Einklang gebracht werden? Wie sich oft widersprechende daten- und persönlichkeitsschutzrechtliche Vorschriften sowie die Beschuldigten- und Verteidigungsrechte auf die konkrete Gestaltung des Verfahrens für die Verteidigung auswirken, ist bereits unter geltendem Recht im Bereich des Sexualstrafrechts erkennbar. Problemfelder und mögliche Konsequenzen für eine neu zu fassende Dokumentationspflicht sollen dargestellt und diskutiert werden.

Im Anschluss: Vorstellung eines möglichen Forderungskatalogs & Diskussion der Ergebnisse

panel 4 : candid camera
Bringt die audiovisuelle Dokumentation die unverblümte Wahrheit ans Licht?
Live im und im Stream aus der taz Kantine in Berlin
29. Mai 2022 / ca. 14.00 – 16.00 Uhr

mit:
RA Prof. Dr. Jan Bockemühl, Regensburg
OStA BGH Oliver Sabel, Referatsleiter d. Abteilung Strafrecht beim BMJV, Berlin
• RA Prof. Dr. Ulrich Sommer, Köln

Moderation: RA Tim Burkert (Hamburg)

 

Teilnahme vor Ort:
Sonntag, 29.5.2022, 14.00 – 16.00 Uhr

taz kantine
taz / tageszeitung
Friedrichstr. 21
10969 Berlin

Die persönliche Teilnahme an der Diskussion vor Ort ist für bis zu 50 Personen möglich. Voraussetzung ist – neben der Anmeldung – eine frühzeitige Registrierung per E-Mail sowie ein (digitaler oder ausgedruckter) Nachweis einer vollständigen Impfung. Abonnent*innen werden bevorzugt. Registrierungen bitte an info@strafverteidigertag.de Sie erhalten von uns eine Bestätigungsmail, ob eine Vorortteilnahme möglich ist.

 

INFORMATION

CA. 8 STUNDEN FORTBILDUNG

abo 2022 – alle veranstaltungen
zu einem preis:

Die Veranstaltung »auftakt«
ist in der Abonnementbuchung enthalten.

Mitglieder: 500 €

(420,17 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 79,83 €)
Nichtmitglieder: 700 €
(588,24 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 111,76 €)
Junge Kolleg*innen: 400 €
(336,13 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 63,87 €)

Teilnahmegebühr »auftakt«

Mitglieder: 200 €
(162,00 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 38,00 €)
Nichtmitglieder: 300 €
(243,00 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 57,00 €)
Junge Kolleg*innen: 150 €
(121,50 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 28,50 €)
Student*/Referendar*innen 50 €
(42,02 € zzgl. 19% USt.i.H.v. 7,98 €)

legal, illegal,
digital

abo 2022

Alle Veranstaltungen des Jahres zu einem Preis.

September/Oktober 2022

der rechtspolitische salon

Podiumsveranstaltung zu aktuellen Themen der Rechtspolitik.

24. September 2022

die »neue«
pflichtverteidigung

Niemand darf unverteidigt vor Gericht stehen.
referate, diskussion, digitales materialheft

6. - 27. november 2022

online forum 22

Drei Wochen Referate, Diskussionen, Chats zu aktuellen Themen des Straf- und Strafprozessrechts
sowie Fortbildung im Selbstlernverfahren.

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