aber auch ohne Strafbarkeitsrisiken?

 

Prof. Dr. Mustafa Oğlakcıoğlu

 

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I. Hinführung

Die Substitutionstherapie Opiatabhängiger beschreibt die Behandlung opioidabhängiger Personen durch kontrollierte Verabreichung von Ersatzstoffen wie Methadon oder Codein. Sie dient dazu, gefährlichen Konsum zu verhindern, das Risiko der Übertragungen von Krankheiten zu reduzieren und Abhängige sozial sowie beruflich zu rehabilitieren. Sie war bis in die späten 80er Jahre hinein noch stark umstritten, als ein vorherrschendes Abstinenzparadigma plötzlich auf suchterhaltende, graduelle Behandlungskonzepte traf.
Inzwischen ist die Substitution als Erfolgsmodell neben Drug-Checking-Angeboten und der Einrichtung von Drogenkonsumräumen ein fester Baustein moderner Drogenpolitik in ganz Europa. Ihre überragende Bedeutung für die Suchtpolitik ergibt sich bereits daraus, dass sie gleichsam alle Säulen der Nationalen Strategie in Drogen- und Suchtfragen betrifft (Prävention, Behandlung, Schadensminimierung und Repression) und die Dokumentation ihrer Erfolge in keinem Drogenbericht mehr fehlt.

Trotz empirischer Studien, welche die Zweckmäßigkeit der Substitutionstherapie belegen,[1] hat diese in der Gesellschaft und auch in der Ärzteschaft keinen guten Stand. Substituierende Ärztinnen und Ärzte werden immer noch (wenn auch nur gelegentlich) als »Dealer in Weiß« bezeichnet und sehen sich selbst bis heute noch bereits »mit einem Bein« im Gefängnis.

Die Einrichtung eines Substitutionsangebots ist zudem mit einem enormen Verwaltungsaufwand, und damit auch mit hohen Kosten verbunden. Es mag daher nicht erstaunen, dass die Anzahl substituierenden Fachpersonals stetig sinkt, während der Bedarf steigt und das Substitutionsangebot schon derzeit nur 50 Prozent der Opioidabhängigen erreicht.[2] Da sich Europas Opioidprobleme – das zeigt ein Blick in den Europäischen Drogenbericht – weiterentwickeln, neue Formen des Missbrauchs, neue Wirkstoffe auf dem Vormarsch (Benzimidazol, Carfentanyl) sind,[3] muss der Gesetzgeber weiterhin bemüht sein, das bestehende Substitutionsangebot zu erweitern und eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten.

Opioid-Krise in den USA
Dealer im weissen Kittel

Der Abstieg in die Drogen hat für tausende US-Amerikaner mit opioidhaltigen Schmerzmitteln begonnen. Besonders dramatisch ist die Lage in Tennessee. Dort kommen auf 100 Patienten 94 Rezepte. Auch Claire Patterson wollte eigentlich nur ein Medikament gegen Migräne – und wurde abhängig von Heroin.

Ausschnitt aus Bericht im Deutschlandfunk; https://www.deutschlandfunk.de/opioid-krise-in-den-usa-dealer-im-weissen-kittel-100.html.

Ein Ansatz besteht in der Lockerung der Anforderungen an die Durchführung einer Substitution, sowohl von den Abläufen als auch vom ›helfenden Personal‹ her. Überwiegend wird die Substitution als langfristige Behandlungsform angeboten, was freilich nicht immer auf das Klientel passt: Opiatabhängige werden durch die Notwendigkeit von Behandlungsverträgen, Therapieplänen und weitere formelle Rahmenbedingungen oftmals abgeschreckt. Dem kann durch eine niedrigschwellige Substitution begegnet werden, welche einen weniger bürokratischen Zugang zu Ersatzstoffen ermöglicht, und in erster Linie die primären Therapieziele der ›Sicherstellung des Überlebens‹ und ›Stabilisierung des Gesundheitszustandes‹ adressiert. Derartige Angebote, welche die Substitution ambulant bzw. eher als akute Behandlung (daher auch im Folgenden als Substitutionsambulanz oder Sofortsubstitution bezeichnet) und weniger als Therapie anbieten, sind in Deutschland noch selten und befinden sich noch im Stadium eines ›Modellprojekts‹: Zu nennen sind hier u.a. das Projekt ›DROB-INN‹[4] in Hamburg oder das von der Stadt Nürnberg geplante Projekt ›SUB-Port‹.[5]

Fraglich ist aber, ob dieser – u.U. vom herrschenden Leitbild der Substitution als ›Langzeittherapie‹ abweichende – Ansatz durchgeführt werden kann, ohne gegen die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes zu verstoßen. Die Substituierenden beklagen schließlich auch über die strengen Regularien im Rahmen einer Substitutionsbehandlung, die bei drohender Überlastung sogar in einen strafrechtlichen Vorwurf münden könnten.

Insofern müssen etwaige Unsicherheiten, die diesbezüglich bestehen, möglichst schnell und unmissverständlich ausgeräumt werden. Daher sollen im Folgenden zunächst die rechtlichen Rahmenbedingungen und auch (inzwischen erheblich eingeschränkten) Strafbarkeitsrisiken im Kontext der Substitution generell beleuchtet werden, um sodann auf die Besonderheiten der niedrigschwelligen Substitution einzugehen. Es ergibt insofern Sinn, die tatsächlichen Abläufe einer ›normalen‹ Substitutionsbehandlung zu skizzieren, da auf diese Weise auch die Unterschiede der niedrigschwelligen Substitution deutlich werden. Gerade der Umstand, dass das medizinische Fachpersonal in Umfragen zur Substitutionsbereitschaft u.a. auf die undurchsichtige Rechtslage verweist,[6] zeigt, dass hier noch Klärungsbedarf besteht und das geltende Recht auch mit den Behandelnden schlicht besser ›kommuniziert‹ werden muss.

Auch der Gesetzgeber ist bemüht, das Image der Substitution aufzupolieren und auch die Situation der Ärzteschaft etwas zu verbessern. Man blieb nicht bei der Zusage politischer Unterstützung stehen, sondern brachte auch Fortbildungsprogramme und Aufklärungskampagnen auf den Weg.[7] V.a. aber ergriff man auch ganz entscheidende, gesetzgeberische Maßnahmen, die zumindest das strafrechtliche Risiko im Kontext der Substitution – wie auch intendiert – erheblich eingeschränkt haben:

Mit der Dritten Verordnung zur Änderung der BtMVV 2017[8] wurden die Vorschriften zur Substitution vollständig neu gefasst und insb. Regelungen, »die unmittelbar ärztlich-therapeutische Bewertungen betreffen«, in die Richtlinienkompetenz der BÄK überführt. Mit der »Entschlackung« des § 16 BtMVV verfolgte der Gesetzgeber explizit das Ziel, das seit längerer Zeit beklagte Strafbarkeitsrisiko für substituierende Ärzte weitestgehend zu beseitigen.[9] Weitere zunächst nur aufgrund der Pandemie eingeführte Lockerungen der BtMVV, auch im Bereich der Substitution, hielt man durch eine weitere BtMVV-Verordnung Ende 2022 bis heute aufrecht, weil – so der Verordnungsgeber die Erfahrungen mit den befristet eingeführten Ausnahmeregelungen zur Weitergewährleistung der Substitutionstherapie unter pandemischen Bedingungen gezeigt haben, »dass mehr Flexibilität in den Behandlungsabläufen die erfolgreiche Durchführung einer Substitutionstherapie nach § 5 BtMVV begünstigen kann, ohne dass es hierdurch zu einer Beeinträchtigung der Sicherheit des Betäubungsmittelverkehrs kommt.«[10] Später hielt man im Koalitionsvertrag fest, dass man auch in Zukunft Modelle zum Drug-Checking und Maßnahmen der Schadensminderung ermöglichen und weiter ausbauen will.[11]

Aber: Diesen Entwicklungen steht eine immer noch grundsätzlich streng repressive, partiell reaktionäre Haltung in Bezug auf die Substitutionsbehandlung gegenüber. Gerade in bestimmten Regionen werden Verstöße gegen betäubungsmittelstrafrechtliche Vorschriften rigoros verfolgt, obwohl sie nicht den Kontext des ›Genusskonsums‹ betreffen, sondern die Schadensminimierung. Die einschlägigen Normen werden (man denke auch an die Drogenkonsumräume) von den zuständigen Behörden eher extensiv, denn einschränkend interpretiert. Das Stigma, das mit dem ›Heroinkonsum‹ verbunden ist, geht so weit, dass Abhängige auf dem Weg zum Drogenkonsumraum ›abgefangen‹ oder Drogenhilfeeinrichtungen bzw. Mitarbeiter der akzeptierenden Drogenarbeit observiert werden.[12] Das berüchtigte Stadt-Land-Gefälle zeigt sich nicht nur im Bereich der Bagatell-Drogenkriminalität, sondern eben auch im Bereich der Substitution. Erinnert sei auch an die in einigen Teilen der Republik immer noch katastrophalen Bedingungen der Substitution in der Haft.[13] Insoweit genügen bessere gesetzliche Rahmenbedingungen sowie ein kontinuierlicher Austausch mit den Behandelnden nicht. Es muss sich auch etwas in den ›Köpfen‹ ändern.

Dennoch bleibt eine klare Kommunikation hierfür der erste Schritt. Um dem gerecht zu werden, seien die Ausführungen zur niedrigschwelligen Substitution im Folgenden zunächst auf folgende vier Thesen heruntergebrochen:

  1. Niedrigschwellige Substitution lässt sich im Einklang mit den derzeitigen Vorschriften des BtMG durchführen, wenn zulässige Präparate verwendet und Standardprozeduren der Verschreibung eingehalten werden.
  2. Ein Ausbleiben eines herkömmlichen Therapieplans ist unschädlich, weil die niedrigschwellige Substitutionsambulanz als Therapiekonzept i.S.d. BtMVV angesehen werden kann.
  3. Höchst hilfsweise ist vor dem Hintergrund der Ausrichtung der niedrigschwelligen Substitutionsvergabe und deren grundrechtlicher eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen Verbots- und Sanktionsvorschriften angezeigt.
  4. Da den Betroffenen nicht zugemutet werden kann, eine ›gerichtliche‹ Klärung dieser Frage abzuwarten, wäre es zu begrüßen, wenn der Verordnungsgeber die rechtliche Zulässigkeit eines derartigen Substitutionskonzepts (d.h. die ambulante Substitution und Sofortsubstitution) deklaratorisch festlegte.

Im Folgenden sollen diese Thesen nun etwas unterfüttert werden, indem zunächst die Substitution als betäubungsmittelrechtlich regulierte Behandlungsform etwas näher erläutert wird. Im Anschluss sollen die denkbaren ›Schwellen‹ hervorhoben werden, die herabgesetzt werden könnten, um solch einen Schritt sodann (straf-)rechtlich einzuordnen.

II. Regelsubstitution vs. Notfallsubstitution vs. niedrigschwellige Substitution Gemeinsamkeiten und Unterschiede (?)

Der grundlegende Ablauf und die Anforderungen an den ›Normalfall‹ einer Substitutionstherapie werden in zahlreichen Leitfäden und Praxis-Kompendien zusammengefasst.[14] So ist der Ablauf im Substitutionsleitfaden der Bayrischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen folgendermaßen gegliedert:[15]

Ablauf der Regelsubstitution

    1. Erstuntersuchung und Indikationsstellung

    2. Einleitung der Behandlung, Behandlungsvereinbarung und Dokumentation

    3. Behandlungsvereinbarung

    4. Dokumentation

    5. Substitutionsmittel und Dosierung

    6. Behandlungskonzept

    7. Komplettierung von Diagnostik und Anamnese

    8. Praktische Durchführung

    9. Rezeptierung

    10. Verabreichungsorte und Ablauf der Vergabe (unter Sicht)

    11. Therapieverlauf

 

1. Erstuntersuchung und Indikationsstellung

Die Behandlung beginnt einer Erstuntersuchung (1.), die auch den Nachweis einer manifesten Opiatabhängigkeit zum Gegenstand hat (die Feststellung soll durch die Beobachtung von Entzugssymptomen sowie Opiatbefund im Urin erfolgen). Im Anschluss folgt die körperliche Untersuchung und Suchtanamnese, vorgesehen sind auch Blut- und Urinproben zur Feststellung von Begleiterkrankungen.

Es folgt die Indikationsstellung (2), wobei im Leitfaden oftmals der Ultima-Ratio-Charakter der Substitutionsbehandlung betont wird; passend hierzu finden sich einige therapeutische Überlegungen, die im Rahmen der Erstuntersuchung eine Rolle spielen sollen (bisherige Therapieversuche, Beikonsum, psychische Störungen, Sonderfall ›Schwangerschaft und Drogenabhängigkeit‹, Doppelsubstitutionen).

Bis zu diesem Punkt bestehen keine Unterschiede zu niedrigschwelligen Substitutionsangeboten: Jedenfalls die bis dato im Raum stehenden Konzepte (z.B. das Nürnberger Projekt SUB-Port) beginnen nach Ausfüllung eines standardisierten Fragebogens über die persönlichen Hintergründe mit einer umfassenden Eingangsuntersuchung samt Urinkontrolle, in denen der Konsum-Status und die Zulässigkeit einer Substitution geklärt werden soll. Ergänzt werden diese Untersuchungen durch eine medizinische Anamnese. Allerdings stehen »niedrigschwellige Substitutionsangebote bestimmten Personengruppen per se nicht zur Verfügung«, wobei etwaige Beschränkungen wiederum von Konzept zu Konzept divergieren können. Typischerweise sind aber ausgeschlossen:

  • aktuell in Substitution befindliche Personen,
  • offensichtlich stark intoxikierte Personen,
  • akut psychotische Personen,
  • aggressiv auftretende Personen.

Zudem gelte ein »besonderes Augenmerk darüber hinaus den besonders vulnerablen Gruppen«:

  • Schwangere,
  • Familien mit Kindern,
  • Jugendliche.

Letztere vulnerablen Gruppen werden bspw. gem. der Nürnberger Kooperationsvereinbarungen sofort vermittelt; eine Substitution bleibe aber auch diesen Gruppen, namentlich bei Gefahr im Verzug und Nichterreichbarkeit von Alternativen (z.B. am Wochenende) denkbar.

2. Einleitung der Behandlung

Unterschiede zwischen Regelsubstitution und niedrigschwelliger Substitution ergeben sich aber im weiteren Verlauf der Behandlung (3.).

a. Behandlungsvereinbarung

So sieht der BAS-Leitfaden den Abschluss einer Behandlungsvereinbarung (3.a) vor, welcher Teil des umfassenden Therapiekonzepts sei, wie dieser in Anlage I der ›Richtlinie Methoden vertragsärztlicher Versorgung‹ unter § 3 Absatz 9 Punkt 6 erwähnt werde.[16] Interessant ist, dass auch der Leitfaden davon ausgeht, dass sich die gemeinsam zu erarbeitenden Behandlungsziele »gerade in der Anfangsphase der Substitution rasch ändern können oder erst nach einer Latenzzeit deutlich werden«, und sich »die ›Behandlungsvereinbarung‹ zuerst über einen sehr begrenzten Zeitraum (z.B. drei Monate) erstrecken« sollte.[17]

Das ist von Relevanz, weil die niedrigschwellige Substitution partiell auch deswegen als problematisch erachtet wird, weil dort gerade keine langfristigen Therapieziele mit den zu Behandelnden kommuniziert werden und man auf eine ausführliche Behandlungsvereinbarung, die infolge ihres bürokratischen Charakters vielleicht auch abschreckend wirken kann, gerade verzichten will. Nimmt man aber die Notwendigkeit einer gewissen Flexibilität des Behandlungsvertrags in den Blick, besteht ein Unterschied zur normalen Substitutionstherapie in der Arztpraxis wohl eher auf dem Papier: Schließlich wird auch hier keine langfristige ›Bindung‹ des Patienten erwartet, sodass sich zumindest tatsächlich keine erheblichen Unterschiede zum Fehlen einer Behandlungsvereinbarung (und damit auch eines individuellen, langfristig gedachten Therapieplans) ergeben dürften, jedenfalls nicht stets. So gesehen erscheint es fraglich, ob eine strafrechtlich andersgeartete Bewertung der beschriebenen Behandlungsformen legitimiert werden kann (vgl. noch im Folgenden), wenn sich doch die Bedingungen ex-ante kaum unterscheiden. Insofern kann sich auch die Behandlung in der Arztpraxis als nur vorübergehende »Notfallsubstitution« entpuppen.

b. Dokumentation

Im Abschnitt »Dokumentation« verweist der BAS-Leitfaden wiederum auf die BtMVV, und listet die zu dokumentierenden Inhalte auf (u.a.: Anamnese, Befunde der körperlichen Untersuchung, v.a. aber auch die Erstellung eines individuellen Therapieplans, der Therapieziele beschreibt).[18]

Da im Rahmen der niedrigschwelligen Substitution indessen ein Therapieplan fehlt, wird das Klientel konsequenterweise lediglich registriert und erhält eine elektronische Akte, in der alle weiteren Verläufe und Interventionen dokumentiert werden (v.a. die Vergaben mit Uhrzeit und Menge).[19]

c. Substitutionsmittel und Dosierung

Sodann finden sich im BAS-Leitfaden einige Hinweise zu den verschreibungsfähigen Medikamenten und zur Dosisfindung: So werden die substitutionsfähigen Substanzen aufgelistet (Zubereitungen von Levomethadon, Methadon, Buprenorphin bzw. Buprenorphin/Naloxon und in begründeten Ausnahmefällen Codein oder Dihydrocodein oder Diamorphin), wobei Angaben der Patienten bezüglich der bisher konsumierten Menge illegaler Opiate als Hinweis dienen könnten, aber durch weitere Informationen ergänzt werden müssen.[20] Im Rahmen der Dosisfindung soll auch ein möglicher Beigebrauch eruiert und der Patient auf das Substitutionsregister aufmerksam gemacht werden.

Im Rahmen niedrigschwelliger Substitution hingegen ist regelmäßig keine individuelle Dosisfindung vorgesehen, vielmehr erfolgt eine standardisierte, niedrig dosierte und daher risikoarme Sofortvergabe (i.d.R. 2 ml Polamidon/Methadon). Allerdings wird Patient*innen die Möglichkeit eingeräumt, eine Veränderung der Dosis zu veranlassen, wobei hierfür ein Vorgespräch mit der psychosozialen Betreuung (PSB) und der behandelnden Person vonnöten ist.[21]

d. Behandlungskonzept

Der aus dem Blickwinkel des Substitutionsrecht neuralgische Punkt ist derjenige, der das »Behandlungskonzept« zum Gegenstand hat: Der Leitfaden unterstreicht die »Notwendigkeit eines umfassenden, individuellen Therapiekonzepts, das im Verlauf der Behandlung einer ständigen Überprüfung und Anpassung« bedürfe.[22] Der Therapieverlauf solle unter Zuhilfenahme von Orientierungsschemata und »Belastungsscores« ausgewertet und dokumentiert werden.[23]

Hier liegt, wie bereits dargelegt, der elementare Unterschied zwischen Regelsubstitution und »Sofortsubstitution«, wo gerade keine langfristige Therapie geplant (und auch nicht angestrebt) wird:  Insofern geht es bei der niedrigschwelligen Substitution auch darum, Klient*innen aus unterschiedlichen Stadien der Behandlung (Akutphase, Stabilisierung, supportive Phase usw.) aufzunehmen, diese »einzuordnen« und wiederjenen »geregelten Bahnen« zuzuführen. Wo dies nicht möglich erscheint, soll zumindest der gesundheitliche Schaden so minimiert werden, so gut es eben geht.

Schon an dieser Stelle zeichnet sich insoweit ab, dass die Notwendigkeit eines Therapiekonzepts nicht als überindividuelle Zielsetzung betrachtet werden darf, an deren Einhaltung die Rechtsgemeinschaft in ihrer Gesamtheit ein berechtigtes Interesse hat, es damit auch nicht um die ›Bevölkerungsgesundheit‹ geht, sondern ausschließlich die Gesundheit des Patienten im Mittelpunkt steht. Ein unmittelbar drittschädigender Missbrauch des niedrigschwelligen Substitutionsangebots – bspw. durch eine missbräuchliche Weitergabe – ist beim Sichtbezug (d.h. beim Bezug direkt vor Ort) ohnehin ausgeschlossen.[24]

e. Komplettierung von Diagnostik und Anamnese

Der Abschnitt zur Einleitung der Behandlung schließt mit einigen Ausführungen zur Komplettierung der Diagnostik und Anamnese. Um die Indikation zur substitutionsgestützten Behandlung zu prüfen, sei es erforderlich, weitere Informationen über den einzelnen Patienten einzuholen, die v.a. auch für die Umsetzung einer mittel- und langfristig erfolgreichen Therapie vonnöten sind.[25]

Auch hier dürften sich Unterschiede zur niedrigschwelligen Substitution auftun, da der Umfang der ›Durchleuchtung‹ des Patienten in einer gewissen Wechselbezüglichkeit zum Prinzip einer mittel- bis langfristig ausgerichteten Therapie steht.

3. Praktische Durchführung

Ausführlich beschreibt der Leitfaden auch die praktische Durchführung der Behandlung: Dabei wird auf die besonderen Anforderungen an ein Betäubungsmittelrezept, speziell zu Substitutionszwecken erinnert (Kennzeichnung mit dem Buchstaben S, Unterschrift per Hand); im Übrigen wird auf die Angaben im Serviceteil verwiesen.[26]

a. Rezeptierung

Der Arzt verschreibt dem Patienten das Substitutionsmittel zum unmittelbaren Verbrauch. Aus § 5 Abs. 10 i.V.m. Abs. 6 BtMVV ergibt sich, dass diese nur in bestimmten Einrichtungen erfolgen darf: § 5 Abs. 10 BtMVV lautet (auszugsweise):

(10) Substitutionsmittel nach Absatz 6 Satz 1 dürfen nur von folgenden Personen dem Patienten zum unmittelbaren Verbrauch überlassen, ihm verabreicht oder bei ihm gemäß dem in der arzneimittelrechtlichen Zulassung vorgesehenen Verfahren angewendet werden:

1. dem substituierenden Arzt in der Einrichtung, in der er ärztlich tätig ist,

2. dem vom substituierenden Arzt in der Einrichtung nach Nummer 1 eingesetzten medizinischen Personal oder

3. dem medizinischen, pharmazeutischen oder pflegerischen Personal in

a) einer stationären Einrichtung der medizinischen Rehabilitation,

b) einem Gesundheitsamt,

c) einem Alten- oder Pflegeheim,

d) einem Hospiz oder

e) einer anderen geeigneten Einrichtung, die zu diesem Zweck von der zuständigen Landesbehörde anerkannt sein muss,

sofern der substituierende Arzt nicht selber in der jeweiligen Einrichtung tätig ist und er mit der jeweiligen Einrichtung eine Vereinbarung getroffen hat.

Außerdem darf ein Substitutionsmittel nach Absatz 6 Satz 1 dem Patienten zum unmittelbaren Verbrauch überlassen, ihm verabreicht oder bei ihm gemäß dem in der arzneimittelrechtlichen Zulassung vorgesehenen Verfahren angewendet werden

4. In einer staatlich anerkannten Einrichtung der Suchtkrankenhilfe von dem dort eingesetzten und dafür ausgebildeten Personal, sofern der substituierende Arzt für diese Einrichtung nicht selber tätig ist und er mit der Einrichtung eine Vereinbarung getroffen hat.

Sodann finden sich im Konzeptpapier noch einige Informationen zum Ablauf der eigentlichen Vergabe des Substitutionsmittels: Die dort genannten »Aufsichts- und Kontrollpflichten« (u.a.: Identitätskontrolle, Aufbewahrung der Zubereitungen, Sichtkontrolle bzgl. Zustand des Patienten, Überprüfung auf Intoxikationszeichen, orale Einnahme des Substituts vor den Augen des eingewiesenen Personals, Vergabezeiträume) gelten weitestgehend auch nach den bis dato veröffentlichten Vergabe-Konzepten der Substitutionsambulanz, die standardisierten Regeln folgen soll. Insbesondere erfolgt die Vergabe in der Praxis bzw. in der Apotheke unter Sicht. Mittels täglicher Kontrollen nach etabliertem Scanverfahren und Präsenzzeiten vor und nach der Vergabe (15 Minuten) wird zudem gesichert, dass der Zustand des Patienten überprüft und in Notfallsituationen sofort reagiert werden kann; die Identitätskontrolle und Vergabedokumentation erfolgt automatisiert und gelingt durch elektronische Registrierung der Klient*innen.

Unterschiede ergeben sich allenfalls im Hinblick auf die – wie bereits erläutert – festen Mengen und Vergabetermine, was sich allerdings kaum auf die »Begründetheit« der Verschreibung oder Verbrauchsüberlassung auswirken dürfte.

b. Therapieverlauf

In einem weiteren (ausführlichen) Abschnitt beschreibt der Leitfaden sodann die Kontrollpflichten während des weiteren Therapieverlaufs: So müssten Behandlungsindikation, -motivation und -zielsetzung im Verlauf der Behandlung immer wieder thematisiert und überprüft werden und die notwendigen Konsequenzen (Änderung des Behandlungsvertrages/-konzeptes) gezogen werden. Auch hier gilt das bereits oben Angedeutete: Der Kontrollverlauf verfolgt im Falle der Regelsubstitution einen anderen Zweck als die Überprüfung der Klient*innen im Kontext der Sofortsubstitution. Wo die Versorgung und die Sicherstellung des Überlebens im Vordergrund stehen, und die Klient:innen vermittelt werden sollen, ergibt solch ein Pflichtenkatalog keinen Sinn. Eine wiederholende Kontrollpflicht kann sich nur auf den akuten (gesundheitlichen) Zustand der Patient:innen beziehen. Diesbezüglich sind aber im Rahmen der Substitutionsambulanz – wie bereits dargelegt –standardisierte Mechanismen vorgesehen.

4. Zwischenfazit

Die Unterschiede zwischen niedrigschwelliger Substitution und dem (idealtypischen) Ablauf einer Regel-Substitution und niedrigschwelligen Substitution sind v.a. in der Ausrichtung begründet, die Konsequenzen in der Planung und dem Ablauf nach sich zieht: Während die Regel-Substitution mittel- und langfristig ausgerichtet ist, zielt die Notfall- und Sofortsubstitution auf die kurzfristige Vergabe »zur Sicherung des Überlebens« und »Stabilisierung des Gesundheitszustandes«, ohne aber die langfristigen Ziele der Behandlung aus den Augen zu verlieren. In der niedrigschwelligen Substitution ist damit kein Behandlungsvertrag und Therapieplan vorgesehen, was auch eine Ausstrahlungswirkung auf Reichweite und Umfang der Dokumentations- und Überprüfungspflichten hat. Außerdem ist die Vergabe im Konzept von SUB-Port im ersten Schritt »standardisiert«: Es fehlt an einem patientenbezogenen Terminplan, allerdings sind Individualisierungen möglich.

III. Betäubungsmittelstrafrechtliche Einordnung der Substitutionsbehandlung

Aus dem Blickwinkel derjenigen, die solch eine niedrigschwellige Substitution anbieten wollen, stellt sich nun die Frage, ob die geschilderten Unterschiede zwischen Regel- und Sofortsubstitution auch eine strafrechtliche Andersbehandlung zur Folge haben (können). Die Antwort lautet: Nein. Aber um das nachzuvollziehen, muss etwas ausgeholt und die strafrechtliche Systematik im Kontext der Verschreibung von Betäubungsmitteln erläutert werden. Dabei muss auch auf die bereits angesprochenen Gesetzesänderungen eingegangen werden, bevor zur Veranschaulichung ganz konkrete Fallgruppen skizziert werden, in denen eine Strafbarkeit des medizinischen Fachpersonals nach den Vorschriften des BtMG in Betracht kommt. Das Kernstrafrecht kann indessen ausgeblendet werden, da es im Kontext des legalen Verkehrs allen Beteiligten darum geht, bereits minimale Verstöße gegen das geltende Recht auszuschließen. Anders gewendet: Wenn niedrigschwellige Substitution bereits nach betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften verboten bzw. sogar strafbar sein kann, ist es nicht von Relevanz, ob das Verhalten theoretisch auch eine (fahrlässige) Körperverletzung oder Tötung darstellte, wenn es zu solch einem Verlauf kommt.

1. Einschlägige Rechtsvorschriften und Systematik

Wie bereits angedeutet, richtet sich die Zulässigkeit bzw. Legalität der Verschreibung, Verabreichung und Überlassung von Betäubungsmitteln nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG), das in Bezug auf die medizinische Versorgung der Bevölkerung durch die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) ergänzt wird. Das BtMG legt in § 1 BtMG die Substanzen fest, welche überhaupt als Betäubungsmittel gelten und konkretisiert in § 2 BtMG die Reichweite des Betäubungsmittelbegriffs im Übrigen.[27]So sind zahlreiche Substitutionspräparate in Anlage III (welche die verkehrs- und verschreibungsfähigen auflistet) aufgeführt: Hierzu zählen unter anderem auch L-Polamidon (Levomethadon) und Methadon, auf welche sich die mir bekannten niedrigschwelligen Substitutionsangebote beschränken sollen.

In § 3 BtMG wird ein umfassendes Umgangsverbot bzw. eine Erlaubnispflicht für fast alle denkbaren Umgangsformen im Hinblick auf Betäubungsmittel im Sinne des Gesetzes aufgestellt. Verstoßen die Beteiligten gegen die Erlaubnis- oder sonstige über das BtMG verstreute Pflichten (diese betreffen v.a. den legalen Verkehr), handeln sie illegal.[28]

Der Erlaubnisvorbehalt des § 3 BtMG erfasst überwiegend Verhaltensweisen, welche die Entstehung, den »Vertrieb«, den Transport und den konsumorientierten Umgang mit den Betäubungsmitteln umschreiben. »Arztspezifische« Handlungen, mithin die Verschreibung, Verabreichung von Betäubungsmitteln oder die Überlassung zum unmittelbaren Verbrauch unterliegen keinem Erlaubnisvorbehalt, sondern werden eigenständig reglementiert, namentlich in § 13 Abs. 1 BtMG. Der ärztlich angeordnete Folgeumgang (Erwerb/Besitz von Betäubungsmitteln), welcher v.a. bei Verschreibungen denkbar bleibt, ist dann gem. § 4 Abs. 1 BtMG von der Erlaubnispflicht befreit.[29]

Das heißt allerdings nicht, dass der Vertriebsweg keinen Regeln folgen würde. Vielmehr legt § 13 BtMG Pflichten der behandelnden Person im Rahmen einer Verschreibung von Betäubungsmitteln fest, wobei diese zum Teil unmittelbar in § 13 BtMG selbst, partiell allerdings auch (insbesondere auch die formalen Vorgaben an ein Betäubungsmittelrezept) in der BtMVV und mittelbar auch in den Richtlinien der Bundesärztekammer konkretisiert werden. Das im Zentrum stehende Kriterium für die Frage, ob sich die behandelnde Person strafbar macht, ist hierbei die Begründetheit der arztspezifischen Handlung. Denn bei einer unbegründeten Verschreibung, Verabreichung oder Überlassung zum unmittelbaren Verbrauch handelt man entgegen § 13 Abs. 1 BtMG und verwirklicht somit den Tatbestand des § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 6a BtMG. Zum Teil ist auch die Missachtung bestimmter formaler Vorgaben der BtMVV (etwa im Rahmen einer Verschreibung) gesondert unter Strafe gestellt, vgl. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 14 i.V.m. § 16 BtMVV. Schließlich machen sich die Beteiligten an diesem Versorgungssystem strafbar, wenn sie den »Vertriebsweg« gänzlich verlassen und hierbei eine Handlung verwirklichen, die in § 3 BtMG genannt ist. Zusammenfassend bestehen strafrechtliche Risiken für (substituierende oder sonstige Betäubungsmittel verschreibende) Ärzt*innen und Arzthelfer*innen ganz generell dann, wenn sie

  • keine privilegierten arztspezifischen Handlungen vornehmen, sondern andere Verhaltensweisen in Bezug auf Betäubungsmittel vornehmen, die unter einem Erlaubnisvorbehalt stehen (v.a.: Abgabe von Betäubungsmitteln gem. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG),
  • unbegründet (d.h. nicht indiziert) Betäubungsmittel verschreiben, verabreichen oder zum unmittelbaren Verbrauch überlassen, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 6a BtMG (v.a. denkbar, wenn es an jeglicher Diagnose, Anamnese oder etwaiger Verlaufskontrollen fehlt),
  • gegen Vorschriften der BtMVV verstoßen, die im Katalog des § 16 BtMVV aufgelistet sind, mithin bereits die Missachtung der entsprechenden Vorschrift eigenständig als Verstoß gegen eine Rechtsverordnung gem. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 14 BtMG sanktioniert werden kann (v.a. bei der Überschreitung von Verschreibungshöchstmengen).

2. Potenzielle Anknüpfungspunkte für eine Strafbarkeit im Rahmen der Verschreibung von Substitutionspräparaten

a. Strafbarkeit wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln, §29Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG

Bei einem bloßen Verstoß gegen die Notwendigkeit eines Therapieplans liegt ein »Verstoß« gegen § 3 BtMG (und somit auch eine Strafbarkeit nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1) per se fern. Denn diese Vorschrift wird im Kontext ärztlichen Handelns nur relevant, wenn Betäubungsmittel Opiatabhängigen aus der Praxis abgegeben werden.

Die Abgabe wird hierbei als die Übertragung der eigenen tatsächlichen Verfügungsgewalt über ein Betäubungsmittel auf eine andere Person zu deren eigener freier Verfügung definiert.[30] Substitutionspräparate werden in Arztpraxen allerdings unter Sichtbezug – am sog. »Substitutionstresen« – vergeben; das Präparat wird gerade nicht ausgehändigt, sondern muss noch an Ort und Stelle konsumiert werden. Das gilt auch für die niedrigschwellige Substitution: Hier ist ebenso wenig ein Verfügungswechsel, mithin eine Abgabe der Substitutionspräparate, vorgesehen, sodass bei Einhaltung der jeweils bekanntgemachten Konzepte kein Strafbarkeitsrisiko nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG droht.

b. Strafbarkeit wegen unbegründeter Verschreibung, Verabreichung oder Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch gem.§29 Abs. 1 S. 1 Nr. 6a, b i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG

Vielmehr stellt sich die Frage, ob ein (potenzieller) Verstoß gegen die BÄK-Richtlinie zu einer unbegründeten Verschreibung führt, die gem. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BtMG mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird. Demnach müssten die Behandelnden das Präparat entgegen § 13 Abs. 1 verschrieben, verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überlassen haben.

§ 13 Abs. 1 BtMG lautet hierbei wie folgt:

(1) Die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nur von Ärzten, Zahnärzten und Tierärzten und nur dann verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung einschließlich der ärztlichen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch oder nach Absatz 1a Satz 1 überlassen werden, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper begründet ist. Die Anwendung ist insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann. Die in Anlagen I und II bezeichneten Betäubungsmittel dürfen nicht verschrieben, verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch oder nach Absatz 1a Satz 1 überlassen werden.

Mithin sind in § 13 BtMG Voraussetzungen genannt, unter denen eine Verschreibung, Verabreichung oder Überlassung zum unmittelbaren Verbrauch zulässig ist (man könnte insoweit von »Privilegierungsvoraussetzungen«) sprechen, die sich zunächst folgendermaßen zusammenfassen lassen:

  • Arzteigenschaft,
  • Betäubungsmittel der Anlage III,
  • im Rahmen einer Behandlung (einschließlich der Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit), und
  • Begründetheit der ärztlichen Handlung (wobei der ultima-ratio-Grundsatz des § 13 Abs. 1 S. 2 BtMG berücksichtigt werden muss).

Diese Voraussetzungen sind in umgekehrter Lesart Anknüpfungspunkte für Strafbarkeit (mithin deren Nichtvorliegen)[31], wobei dann hinzutreten muss, dass der Täter hinsichtlich des Nichtvorliegens vorsätzlich (verkürzt und plakativ: mit Wissen und Wollen) agiert.

Von den drei genannten arztspezifischen Handlungen stehen im vorliegenden Konzept – wie bereits dargelegt – die Verschreibung und die Überlassung zum unmittelbaren Verbrauch im Mittelpunkt. Denn die Substitutionspräparate werden im Rahmen der Substitutionsambulanz typischerweise nicht verabreicht; ebenso wenig ist eine Take-Home-Verschreibung vorgesehen. Vielmehr soll das verschriebene Substitutionspräparat an Ort und Stelle vergeben werden.

Die Ausführungen im Folgenden sollen sich dabei auf die wichtigste Voraussetzung für ein »rechtskonformes« Handeln beschränken: Die ärztliche Handlung muss begründet, also indiziert sein. Dies wird angenommen, wenn nach Ausschöpfung aller medizinischen Erkenntnisse und unter Beachtung rechtlicher Vorschriften und medizinischer Grundsätze eine Indikation für die Auswahl und Durchführung einer bestimmten Behandlungsmethode zum Wohle des Patienten besteht.[32]

Dabei ergeben sich die Anforderungen an die Auswahl und Durchführung der Behandlungsmethode sowie die (erhöhten) Sorgfaltspflichten des Arztes/der Ärztin bei der Verschreibung und Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch aus einem Normkompendium von Gesetzen, richterlicher Rechtsfortbildung und den Richtlinien der BÄK. Verstöße gegen Vorschriften außerhalb des BtMG können hierbei eine fehlende Begründetheit indizieren, umgekehrt kann solch ein Indiz durch andere Faktoren im Einzelfall (Zustand des Patienten, besondere Vorkehrungen des Behandelnden, Notfall) widerlegt werden.

Damit der Behandelnde aber überhaupt die Begründetheit der konkreten Behandlungsmethode eruieren kann, muss eine umfassende Untersuchung des Patienten erfolgen, zu der eine Anamnese, eine Belehrung sowie eine Diagnosestellung gehören.[33] Zu beachten ist in diesem Zusammenhang freilich auch § 13 I S. 2 BtMG, wonach die Verordnung insbesondere dann nicht begründet ist, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann. Es handelt sich nicht um einen von der Diagnose »abtrennbaren Akt«, sodass kaum vorstellbar ist, dass ein Verstoß gegen den ultima-ratio-Grundsatz, welcher in die Einschätzungsprärogative des Behandelnden hineinwirkt, festgestellt werden könnte, wenn eine Diagnose und die Wahl für eine bestimmte Therapieform unzweifelhaft vorliegen. Anders gewendet: einen Verstoß gegen § 13 Abs. 1 S. 2 BtMG wird man ohne Schwierigkeiten nur feststellen können, wenn es bereits an einer Untersuchung, Anamnese bzw. Diagnose gefehlt hat.[34]

bb. Weitere Vorgaben in § 5 BtMVV

Die in § 13 Abs. 1 BtMG aufgestellten Pflichten werden durch die BtMVV konkretisiert, insb. werden die Anforderungen an das Verschreiben von Substitutionsmitteln in 15 (!) Absätzen ausgeführt. Zum Teil formuliert § 5 BtMVV »harte Vorgaben« bzw. stellt ausdrücklich Verbote auf, was sich in Formulierungen wie »darf nur« manifestiert:

  • 5 Abs. 3 S. 1 BtMVV:
    »Ein Arzt darf einem Patienten Substitutionsmittel unter den Voraussetzungen des § 13 Absatz 1 des Betäubungsmittelgesetzes verschreiben, wenn er die Mindestanforderungen an eine suchtmedizinische Qualifikation erfüllt, die von den Ärztekammern nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft festgelegt werden (suchtmedizinisch qualifizierter Arzt).«
  • 5 Abs. 4 S. 2 BtMVV:
    »Ein suchtmedizinisch nicht qualifizierter Arzt darf gleichzeitig höchstens zehn Patienten mit Substitutionsmitteln behandeln. Er darf keine Behandlung nach § 5a durchführen.«
  • 5 Abs. 6 S. 1 BtMVV:
    »Als Substitutionsmittel im Sinne von Absatz 1 darf der substituierende Arzt nur Folgendes verschreiben:«

In diesen (und nur in diesen) Fällen dürften Verstöße gegen die BtMVV eine fehlende Begründetheit der Verschreibung (widerlegbar) indizieren.[35] Im Übrigen kann allerdings wegen etwaiger Verstöße gegen die BtMVV nicht per se auf die fehlende Begründetheit des Rezepts geschlossen werden.

cc. Strafbarkeit wegen Verstoß gegen eine Rechtsverordnung gem. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 14 BtMG i.V.m. § 16 BtMVV

Doch kann ein bloßer Verstoß gegen die in der BtMVV aufgelisteten Pflichten losgelöst von der Frage der medizinischen Begründetheit zu einer Strafbarkeit gem. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 14 BtMG i.V.m. § 16 BtMVV führen.

Gem. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 14 BtMG wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer einer Rechtsverordnung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 oder § 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2a oder 5 zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist. Die BtMVV ist eine Rechtsverordnung nach § 13 Abs. 3. In § 16 BtMVV werden alle Bezugsnormen enumerativ und abschließend aufgezählt, deren Missachtung eine Strafbarkeit nach sich ziehen kann.

Verstöße gegen Formvorschriften können hierbei für sich nicht zu einer Strafbarkeit wegen unbegründeter Verschreibung führen, da diese – siehe oben – nur in Ausnahmefällen die materielle Begründetheit des Rezepts betreffen, siehe oben. Das gilt trotz des Umstands, dass bspw. Dokumentationspflichten meist der Erleichterung des Nachweises einer fehlenden Begründetheit dienen sollen.

  • 16 BtMVV nahm vormals auch auf § 5 Abs. 1 BtMVV, mithin auf die allgemeine Vorschrift zur Substitution (und damit auch auf das Erfordernis eines Therapiekonzepts sowie auf die Therapieziele) Bezug:
  • 16 Abs. 1 Nr. 2 BtMVV a.F. lautete:
    »Nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 14 des Betäubungsmittelgesetzes wird bestraft, wer entgegen § 2 Abs. 1 oder 2 Satz 1, § 3 Abs. 1 oder § 5 Abs. 1 oder Abs. 4 Satz 2 für einen Patienten, andere als die dort bezeichneten Betäubungsmittel … oder unter Nichteinhaltung der vorgegebenen Bestimmungszwecke oder sonstiger Beschränkungen verschreibt«.

Mit Art. 1 der Dritten Verordnung zur Änderung der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung[36] hat man diese Bezugnahme ersatzlos gestrichen. Die Einschränkung des § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 14 verfolgte ausweislich der Gesetzesbegründung das Anliegen, suchtmedizinisch qualifizierte Ärzte durch den Abbau von Unsicherheiten bei der rechtlichen Bewertung von Substitutionsbehandlungen zu mehr Substitutionsbehandlungen zu motivieren und »dadurch die Versorgungssituation in Deutschland spürbar zu verbessern«.[37]

Dies dürfte jedenfalls im Hinblick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen gelungen sein, da die BtMVV nunmehr weniger Verstöße zum Gegenstand hat, welche eine Unbegründetheit »indizieren« könnten, vielmehr Verstöße deutlich benennt, welche trotz Begründetheit der Verschreibung als strafwürdig eingeordnet werden.

Unmittelbar auf das Substitutionsrecht nimmt § 16 BtMVV nur in Nr. 2 (nämlich auf § 5 Abs. 6 S. 1 BtMVV) und in Nr. 5 (nämlich auf § 5a Abs. 3 S. 1, im Spezialfall der Diamorphinbehandlung) Bezug. § 5 Abs. 6 S. 1 beschränkt hierbei die Substitution auf bestimmte Stoffe, nämlich auf:

Nr. 1 ein zur Substitution zugelassenes Arzneimittel, das nicht den Stoff Diamorphin enthält,

Nr. 2. eine Zubereitung von Levomethadon, von Methadon oder von Buprenorphin oder

  1. in begründeten Ausnahmefällen eine Zubereitung von Codein oder Dihydrocodein.

Diesbezüglich bestehen keine Probleme, weil in der niedrigschwelligen Substitution ausschließlich die genannten (zulässigen) Stoffe verwendet und auch keine Höchstverschreibungsmengen überschritten werden.

Für einen besseren Überblick seien die Bezugsvorschriften in der oben abgebildeten Tabelle nochmals aufgeführt.

3. Zwischenfazit

Schon eine Darstellung der betäubungsmittelstrafrechtlichen Grundlagen lässt andeuten, dass sich die Strafbarkeitsrisiken für die Beteiligten an einem niedrigschwelligen Substitutionsangebot (wie DROB-INN oder SUB-PORT) zumindest ›normtechnisch‹ im überschaubaren Rahmen halten, da sowohl eine unerlaubte Abgabe von Betäubungsmitteln gem. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG als auch ein Verstoß gegen eine Rechtsverordnung gem. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 14 BtMG fernliegt. Es bleibt lediglich genauer zu begutachten, ob die Verschreibung bzw. die Überlassung von Substitutionspräparaten zum unmittelbaren Verbrauch innerhalb solch eines Konzepts generell oder zumindest im Einzelfall als »unbegründet« betrachtet werden muss.

Vorab konnten hierbei pflichtwidrige Handlungen herausgefiltert werden, bei denen ein Verstoß gegen § 13 Abs. 1 BtMG zumindest naheliegt:

  • es findet keine Eingangsuntersuchung mit Diagnosestellung statt,
  • es fehlt an einer Indikationsstellung mit der Prüfung von Behandlungsalternativen,
  • es besteht eine Kontraindikation,
  • eine (zumutbare) Verlaufskontrolle unterbleibt.

Ein generelles Verbot der Sofortsubstitution und Notfallsubstitution lässt sich dem Gesetz hingegen nicht entnehmen. Dies erstaunt auch nicht, da die Strafbarkeit nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BtMG an die Begründetheit der Behandlung knüpft und diese immer eine Frage des Einzelfalls ist. Mittelbar könnte sich solch ein Verbot allenfalls aus dem Umstand ergeben, dass Sofortsubstitutionen als »Therapieform« per se gegen die BÄK-Richtlinien verstoßen, bspw. weil womöglich ein Therapiekonzept fehlt bzw. die im Rahmen der BÄK-Richtlinie aufgeführten Therapieziele nicht erreicht werden können. Somit ist zu klären, ob sich das Fehlen eines Therapieplans überhaupt als Verstoß gegen die BÄK-Richtlinie ansehen lässt, und bejahendenfalls: ob dies die Unbegründetheit der Verschreibung bzw. der Verbrauchsüberlassung zur Folge hätte?

4. Anknüpfungspunkte für eine Strafbarkeit im Rahmen des »Betriebs« einer Substitutionsambulanz

Zu denken wäre hier zunächst an einen Verstoß § 5 Abs. 1 und 2 BtMVV: Hier findet sich eine Legaldefinition der Substitution und eine Festschreibung der Therapieziele. Dabei wurde das oberste Ziel der Opiatabstinenz unlängst aufgeweicht und ist nunmehr als bloße Soll-Vorschrift formuliert (»im Rahmen der ärztlichen Therapie soll eine Opioidabstinenz des Patienten angestrebt werden«).

Dabei ist bereits fraglich, ob und inwiefern die § 5 Abs. 1 und 2 BtMVV und somit auch § 13 BtMG durch die BÄK-Richtlinie (i.S.d. § 5 Abs. 11 BtMVV) Konkretisierungen erfahren und somit Verstöße gegen die BÄK-Richtlinie zumindest mittelbar für die Frage einer Begründetheit von Relevanz sein können. Das muss – trotz der faktisch umgekehrten Wirkung der BÄK-Richtlinie als »antizipiertes Sachverständigengutachten« – schon im Hinblick auf § 5 Abs. 11 S. 4 BtMVV bereits mit einem klaren Nein beantwortet werden: Demnach wird die »Einhaltung des allgemein anerkannten Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft […] vermutet, wenn und soweit die Feststellungen nach den Sätzen 1 und 2 beachtet worden sind.«, d.h. die Einhaltung der BÄK-Richtlinien schließt positiv (wenn auch widerlegbar) eine »unbegründete Verschreibung« aus, doch kann nicht von einer umgekehrten Vermutungswirkung dahingehend ausgegangen werden, dass ein Verstoß stets zu einer unbegründeten Verschreibung führt.

Dies kann nach hier vertretener Auffassung aber dahinstehen, weil nach hier vertretener Ansicht eine Substitutionsbehandlung ohne Therapiekonzept bzw. -ziel ohnehin nicht zwingend als eindeutiger Verstoß gegen die BÄK-Richtlinie eingeordnet werden kann.[38]

Blickt man in die BÄK-Richtlinie zählt diese direkt im ersten Punkt die Therapieziele auf; diese überschneiden sich weitestgehend mit den in § 5 Abs. 2 aufgeführten Therapiezielen.

Hierzu zählen:

  • Sicherstellung des Überlebens,
  • Stabilisierung und Besserung des Gesundheitszustandes,
  • Unterstützung der Behandlung somatischer und psychischer Begleiterkrankungen,
  • Reduktion riskanter Applikationsformen von Opioiden,
  • Reduktion des Konsums unerlaubt erworbener oder erlangter Opioide,
  • Reduktion des Gebrauchs weiterer Suchtmittel,
  • Abstinenz von unerlaubt erworbenen oder erlangten Opioiden,
  • Verringerung der durch die Opioidabhängigkeit bedingten Risiken während einer
  • Schwangerschaft sowie während und nach der Geburt,
  • Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität,
  • Reduktion der Straffälligkeit,
  • Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und am Arbeitsleben.

Die niedrigschwellige Substitution adressiert in erster Linie die primären Therapieziele (!) der aktuellen BÄK-Richtlinien, nämlich »Sicherstellung des Überlebens« und »Stabilisierung des Gesundheitszustandes«. Dabei bedarf es bei dieser Form der Substitution zwar »keiner Absicht der Klient*innen zu einer langfristigen Substitution«, doch wird auch dies seitens der Anbieter angestrebt, was sich darin manifestiert, dass das Konzept gerade auch dazu dient, den Zugang zum Hilfesystem (und somit zu einer langfristigen Behandlung) zu erleichtern. Damit verfolgt die niedrigschwellige Substitution insgesamt eindeutig dieselben Prinzipien, die der BÄK-Richtlinie zu entnehmen sind.

Dies dürfte auch den etwas »problematischeren« Punkt einfärben, nämlich das Fehlen eines Therapiekonzepts: Hier heißt es in Punkt 3 (BÄK-Richtlinie, S. 8):

»Eine Opioidabhängigkeit wird in der Regel von psychischen und somatischen Erkrankungen sowie psychosozialen Problemlagen begleitet. Um der Vielfältigkeit der mit der Erkrankung einhergehenden medizinischen, psychiatrischen und psychosozialen Problemlagen gerecht zu werden, ist die substitutionsgestützte Behandlung in ein umfassendes individuelles Therapiekonzept einzubinden, das im Verlauf der Behandlung einer ständigen Überprüfung und Anpassung bedarf.«

Im Anschluss folgen »Unterpunkte« zu 3., d.h. Aspekte, welche die Richtlinie insoweit noch als konkretisierende Ausführungen zum Begriff des Therapiekonzepts betrachtet, u.a. die Abklärung der Indikation. Hier sind zahlreiche Punkte enthalten, die auch im Rahmen der Substitutionsambulanz Berücksichtigung finden (Fragebogen, Eingangs-UK usw.). Erst im Punkt 3.2. (Festlegung patientenbezogener Therapieziele) wird es nochmals etwas konkreter:

»Abhängig von der Indikationsstellung sind im Rahmen des Therapiekonzeptes die im Kapitel 1 aufgeführten Therapieziele zu identifizieren und mit dem Patienten abzustimmen. Hierzu gehören neben der Überlebenssicherung und der Behandlung der Opioidabhängigkeit, insbesondere

  • die Behandlung komorbider psychischer und substanzbedingter Störungen,
  • die Behandlung begleitender somatischer Erkrankungen,
  • die Vermittlung in bedarfsgerechte psychosoziale Betreuungsmaßnahmen.

Die Ziele sind im Verlauf der Behandlung zu überprüfen, gegebenenfalls neu zu bewerten und entsprechend anzupassen.«

Insoweit lässt sich nicht von der Hand weisen, dass dem Gesetz und der BÄK-Richtlinie ein bestimmtes Leitbild der Regelsubstitution zugrunde liegt. Patient*innen sollen langfristig eingebunden, kontrolliert und behandelt werden, um durch eine gewisse Kontinuität die Erreichung der Therapieziele zu gewährleisten. Soweit aber Wortlaut und Telos der einschlägigen Passagen abweichenden Modellen offenstehen, kann ein rekonstruierbares »Leitbild« nicht ausreichen, um von einem Verbot anderweitiger Konzepte wie derjenigen der Sofortsubstitution auszugehen. Zudem lässt bereits die BÄK-Richtlinie Abweichungen von solch einem Leitbild zu.

Im Rahmen der niedrigschwelligen Substitution ist jedenfalls keine langfristige Planung der Therapie und damit auch in dieser Hinsicht kein umfassendes Therapiekonzept vorgesehen, sodass eine Abweichung von jenem Leitbild anzunehmen ist. Allerdings bedeutet das nicht, dass nunmehr direkt danach gefragt werden müsste, ob eine »begründete Abweichung« vorliegt (was man wiederum bejahen könnte).  Schließlich verfolgt die Behandlung im Rahmen der Sofort-Substitution auch ein Konzept, in dem es sich gerade auf diejenigen Personen fokussiert, bei denen u.U. ein umfassendes Therapiekonzept noch nicht angeschlagen hat bzw. dies nicht erfolgsversprechend erscheint: Das Fehlen eines »individuellen Langzeit-Konzepts« gehört also gerade zum Wesen der niedrigschwelligen Substitution.

Intendiert ist ein unbürokratischer Sofortbezug, bei der die primären Ziele der Schadensminimierung die langfristigen Ziele zumindest vorübergehend »suspendieren«, damit überhaupt noch die Chance besteht, dass die langfristigen Ziele jemals erreicht werden können. Eben diese Ausrichtung lässt sich durchaus als »Konzept« betrachten, die auch zu Beginn der Vergabe kommuniziert werden kann. Jedenfalls sind die Anforderungen der BÄK-Richtlinie im Wortlaut nicht derart entschieden, was die Festlegung eines Therapieplans und der entsprechenden -ziele angeht.

Da im Übrigen die Kontroll- und Überwachungsmechanismen bei der ambulanten Substitution standardisiert sind, liegen auch diesbezüglich Verstöße gegen die BÄK fern, zumal diese keine bestimmte Form der Überprüfung vorgibt. Insbesondere der Begriff der Urinkontrolle taucht in der BÄK-Richtlinie nicht auf. Insoweit sind die Vorgaben flexibel und können an die jeweilige Behandlungs- bzw. Vergabeform angepasst werden.

Nach alledem ist festzustellen, dass niedrigschwellige Substitutionsangebote nicht nur die primären Ziele der Richtlinie adressieren, sondern auch die darüberhinausgehenden Ziele anstreben und im Ablauf fast alle Vorgaben der BÄK-Richtlinie erfüllen. Wer annimmt, dass die niedrigschwellige Substitution nicht mit der BÄK-Richtlinie in Einklang zu bringen ist, kann nicht einfach eine strafbare Verschreibung bzw. Verbrauchsüberlassung annehmen. Hilfsweise liegt nämlich eine begründete Ausnahme, höchst hilfsweise – jedenfalls in den Fällen der Notfallsubstitution – eine Rechtfertigung nach § 34 StGB nahe (bzw. eine rechtfertigende Pflichtenkollision, wenn die Verweigerung der Überlassung von Substitutionspräparaten zum Vorwurf einer Körperverletzung durch Unterlassen gem. §§ 223 I, 13 StGB führen könnte). Schließlich müsste derjenige, der davon ausgeht, dass die »Sofortsubstitution«überhaupt nicht reguliert ist, dazu übergehen, die allgemeinen Regeln zur Verschreibung von Betäubungsmitteln der Anlage III anzuwenden, mithin erneut überprüfen, ob die Sofortsubstitution im Einzelfall unbegründet ist. Dann müsste allerdings nachgewiesen sein, dass die kurzfristige Vergabe medizinisch nicht indiziert war und der Behandelnde Vorsatz diesbezüglich hatte. Da den Betroffenen nicht zugemutet werden kann, eine „gerichtliche“ Klärung dieser Frage abzuwarten, wäre es zu begrüßen, wenn der Verordnungsgeber die rechtliche Zulässigkeit eines derartigen Substitutionskonzepts (d.h. die ambulante Substitution und Sofortsubstitution) deklaratorisch festlegte.[39]

5. Verfassungsrechtliche Dimension

Zu guter Letzt ist jenseits aller verwaltungsrechtlichen und strafrechtsdogmatischen Auslegungsfragen zu sehen, dass die niedrigschwellige Substitution darauf ausgerichtet ist, das Überleben der Abhängigen sicherzustellen bzw. deren Gesundheitszustand zu stabilisieren: Insoweit lassen sich Substitutionsangebote als Teil eines staatlichen Schutzkonzepts betrachten, die im Hinblick auf das hochrangige Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) auch tatsächlich angezeigt sein können: Schließlich verbietet Art. 2 Abs. 2 GG nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in das Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, es insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen vonseiten anderer zu bewahren.

Diese verfassungs- bzw. grundrechtliche Dimension der Substitutionsbehandlung war bis vor kurzem – so schien es – nicht überall angekommen, was sich v.a. in der Praxis einiger (v.a. bayrischer) Justizvollzugsanstalten manifestierte, eine Substitutionsbehandlung für Häftlinge a priori zu untersagen. Spätestens mit der Entscheidung des EGMR in Sachen Wenner gegen Deutschland, in welcher der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Versagung einer Substitutionsbehandlung einen Menschenrechtsverstoß sah, dürfte die verfassungsrechtliche Tragweite der Substitutionsbehandlung auch in der Praxis angekommen sein.[40]

Es erstaunt insoweit nicht, dass ein verfassungs- bzw. menschenrechtlicher Anspruch auf Substitution inzwischen entschiedener in den Raum geworfen wird, wobei es nur konsequent anmutet, eine Vereitelung der Inanspruchnahme auch außerhalb der Haft als Verletzung des Art. 2 Abs. 2 GG zu betrachten.[41]

Dabei darf man nicht aus den Augen verlieren, dass Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nur in seltenen Ausnahmefällen einen originären Anspruch auf staatliche Leistungen bereitstellt. Grundsätzlich gebietet Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip nur, in Abwägung mit Schutzmaßnahmen für andere Rechtsgüter eine medizinische Versorgung für alle Bürger (sei es für Unglücks- oder Krankheitsfälle, sei es zur Vorsorge) bereitzuhalten, sodass es eine Frage des Einzelfalls darstellen dürfte, ob sich die aus Art. 2 Abs. 2 GG bestehenden Abwehrrechte zu einem Anspruch auf »Schutz« bzw. Implementierung eines ausreichenden Substitutionsangebots verdichten. Dies muss an dieser Stelle allerdings auch nicht endgültig beantwortet werden.

Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf optimale Versorgung bzw. auf eine Sofortsubstitution hat, wird man die Ausrichtung des SUB-Port Konzepts zumindest im Rahmen der Verfassungsmäßigkeit der Kriminalisierung der im Raum stehenden Handlungen berücksichtigen müssen. So wird man keinesfalls annehmen können, dass ein Konzept, das die legitimen Ziele der BÄK und des BtMG anstrebt, mit dem Mittel der Kriminalsanktion unterbunden werden dürfte, solange kein legitimes Gegen-Ziel für die Unterbindung der Sofortsubstitution ersichtlich ist.

VI. Fazit

So ist man zum Schluss nochmals bei den Thesen angekommen:

  1. Niedrigschwellige Substitution lässt sich im Einklang mit den derzeitigen Vorschriften des BtMG durchführen, wenn zulässige Präparate verwendet und Standardprozeduren der Verschreibung eingehalten werden.
  2. Ein Ausbleiben eines herkömmlichen Therapieplans ist unschädlich, weil die niedrigschwellige Substitutionsambulanz als Therapiekonzept i.S.d. BtMVV angesehen werden kann.
  3. Höchst hilfsweise ist vor dem Hintergrund der Ausrichtung der niedrigschwelligen Substitutionsvergabe und deren grundrechtlicher eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen Verbots- und Sanktionsvorschriften angezeigt.
  4. Da den Betroffenen nicht zugemutet werden kann, eine »gerichtliche« Klärung dieser Frage abzuwarten, wäre es zu begrüßen, wenn der Verordnungsgeber die rechtliche Zulässigkeit eines derartigen Substitutionskonzepts (d.h. die ambulante Substitution und Sofortsubstitution) deklaratorisch festlegte.

[1] Die Verbesserung der Lebensqualität für die betroffenen Menschen ist neben anderen Mehrwerten valide belegt. Sowohl Morbidität als auch Mortalität betroffener Menschen sind deutlich reduziert worden. Substitution trägt nachweislich zur Verringerung von Folgekriminalität bei und mindert den volkswirtschaftlichen Schaden, der jährlich durch Suchterkrankungen direkt und indirekt verursacht wird; zahlreiche Studien führen Lehmann/Kuhn/Schulte/Meyer-Thompson/Verthein, Gesundheitswesen 2021 (83), 651 auf, exemplarisch Degenhardt/Bucello/Mathers et al., Addiction 2010 (106), 32; Mattick/Breen/Kimber et al., Cochrane Database of Systematic Reviews, 2009 (3); Busch/Haas/Weigl, (DIMDI) DIfMDuI, Köln, Langzeitsubstitutionsbehandlung Opioidabhängiger, 2007; Soyka/Träder/Klotsche et al., Suchtmedizin in Forschung und Praxis, 2011 (13), 247.

[2] Vgl. nur https://www.ptaheute.de/aktuelles/2019/03/12/aerztemangel-in-der-substitutionstherapie. Entsprechend wird sowohl in den Gesetzesmaterialien als auch in den Leitfäden das Motiv hervorgehoben, »mehr Ärztinnen und Ärzte für eine Teilnahme an dieser Behandlung zu gewinnen und damit zur Verbesserung der Versorgung von Substitutionspatienten insgesamt beizutragen«, vgl. etwa BR-Drs. 222/17, S. 1 (zur Änderung der BtMVV 2017).

[3] European Drug Report 2023, S. 22 f.

[4] Informationen zum Angebot und zur Drogennotfallprophylaxe sind auf der Seite https://www.jugendhilfe.de/drobinn.de/gz-3.html abrufbar, zuletzt abgerufen am 10.5.2024.

[5] Unlängst hat sich der Bezirk Mittelfranken für eine finanzielle Unterstützung des Projekts starkgemacht, https://www.bezirk-mittelfranken.de/soziales-presse/zustimmung-fuer-das-projekt-sub-port, zuletzt abgerufen am 10.5.2024.

[6] Lehmann/Kuhn/Schulte/Meyer-Thompson/Verthein, Gesundheitswesen 2021 (83), 651.

[7] Siehe hierzu die Kampagne »Wege zurück ins Leben« auf der Seite des Bundesdrogenbeauftragten, https://www.bundesdrogen-beauftragter.de/substitution/, zuletzt abgerufen am 10.5.2024.

[8] 22.5.2017, BGBl. I S. 1275, BR-Drs. 222/17.

[9] Vgl. BR-Drs. 222/17, S. 2.

[10] BR-Drs. 680/22, S. 1.

[11] Koalitionsvertrag 2021 – 2025, S. 68.

[12] Vgl. nur Sobota/Zopfs StV 2014, 639.

[13] Hierzu Fährmann/Schuster/Stöver/Häßler/Keppler NStZ 2021, 271; Sie bereits Schäffler/Zimmermann, Akzeptanzorientierte Drogenarbeit 2012, 9: 25 ff.

[14] Eine ausführliche Schilderung findet sich etwa im Substitutionsleitfaden der Bayrischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen (BAS), welche im Internet abrufbar ist: https://www.bas-muenchen.de/aktivitaeten/substitution.html (zuletzt abgerufen am 10.5.2024).

[15] Dabei wird zunächst akzentuiert, dass die Vermittlung in eine substitutionsgestützte Behandlung durch Drogenhilfeeinrichtungen, Ärzte, Apotheker und in manchen Städten auch durch sog. Clearingstellen erfolge (vgl. BAS-Leitfaden, S. 14), denen freie Behandlungskapazitäten und die Behandlungskonzepte der Ärzte bekannt sind. An allererster Stelle (!) – sozusagen als »Vor-Voraussetzung« – steht somit genau diejenige Tätigkeit, der sich auch die niedrigschwellige Substitution verschrieben hat.

[16] Auch die Richtlinie der Bundesärztekammer sieht vor, dass der Patient über die geplanten Therapiemaßnahmen aufgeklärt wird und ausdrücklich einwilligen muss.

[17] BAS-Leitfaden, S. 26.

[18] BAS-Leitfaden, S. 27.

[19] »Neben der standardisierten fallbezogenen Dokumentation der Klient:innenverläufe« soll zudem eine Dokumentation des Einrichtungsbetriebs (Nutzer*innenkontakte, Zahl und Tätigkeit des Personals sowie besondere Vorkommnisse) in Form von Protokollen erfolgen.

[20]  BAS-Leitfaden, S. 28, 33.

[21] Dabei ist derzeit noch unklar, ob man Höchstmengen festlegen (5ml) soll oder nicht zumindest Öffnungsklauseln notwendig erscheinen, da eine beschränkt insuffiziente Substitutionsbehandlung die Wahrscheinlichkeit eines gefährlichen Beigebrauchs durch die substituierte Person erhöht.

[22] Dabei sei für »die individuelle Behandlungsabstimmung […] eine gute Koordinierung zwischen ärztlicher Behandlung, Psychotherapie und psychosozialer Betreuung hilfreich.«In diesem Zusammenhang wird auf die möglichen Phasen verwiesen, die im Rahmen einer Substitutionsbehandlung durchlaufen werden, BAS-Leitfaden, Tabelle 8.

[23]  BAS-Leitfaden, S. 35.

[24] Auch eine mittelbare Schädigung durch eine »Berauschung« des Substitutionsklientels ist bei derartigen Opiaten (und bei solch einer Dosierung) ausgeschlossen; im Gegenteil dürfte das Risiko einer Beschaffungskriminalität durch das Angebot verringert werden.

[25]  BAS-Leitfaden, S. 37 f.

[26]  BAS-Leitfaden, S. 41 ff.

[27] Zusf. Oğlakcıoğlu, in: Münchner Kommentar StGB, 4. Aufl. 2022, § 1 Rn. 2 ff.

[28] Während leichtere Pflichtverletzungen als Ordnungswidrigkeiten gemäß § 32 BtMG geahndet werden, führen schwerwiegende Verstöße zu einer Strafbarkeit nach den § 29 ff. BtMG, einführend Exner, JuS 2019, 211; zum Ganzen auch Oğlakcıoğlu, in: Handbuch des Strafrechts, Band 6, 2021, § 54.

[29] Auf diese Weise wird die Kompetenz der Bundesbehörde, den Umgang mit Betäubungsmitteln zu erlauben, partiell in die Hände der Ärzteschaft gelegt, nämlich dann, wenn Betäubungsmittel der Anlage III zu medizinischen Zwecken verordnet werden sollen.

[30] Oğlakcıoğlu, in Münchener Kommentar StGB, 4. Aufl. 2021, § 29 BtMG Rn. Rn. 836 mwN. Dass die Abgabe hierbei im Unterschied zum Veräußern die »unentgeltliche«Übertragung der Verfügungsgewalt betrifft, kann an dieser Stelle vernachlässigt werden, da dies lediglich das Verhältnis der in § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG genannten Modalitäten zueinander betrifft.

[31] Was die Arzteigenschaft angeht, handelt es sich bei § 29 Abs. 1 Nr. 6 somit nicht um ein Sonderdelikt, das nur durch Ärzte verwirklicht werden könnte. Vielmehr knüpft der Erlaubnistatbestand des § 13 BtMG an die Arzt-Eigenschaft; oder umgekehrt formuliert: als Nichtarzt handelt man immer entgegen § 13 BtMG, außer das Gesetz – insb. die BtMVV gestattet das Handeln für den Arzt/die Ärztin, sodass die Überlassenden nur als »verlängerter Arm« des Behandelnden zu betrachten sind.

[32] So auch Patzak, in: Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 11. Aufl. 2024, § 13 BtMG Rn. 16; vgl. auch OLG Celle Urt. v. 9. 11. 2018 – 1 Ss 63/17, BeckRS 2018, 29520.

[33] MK-StGB/Oğlakcıoğlu, § 13 BtMG Rn. 18 ff.

[34] Dies manifestiert sich auch in den wenigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Begründetheit nach § 13 Abs. 1 BtMG aus neuerer Zeit, die interessanterweise beide eine Substitutionsbehandlung betrafen: In BGH NStZ 2012, 337 heißt es zunächst, dass eine »Substitutionsbehandlung […] nach § 13 I 2 BtMG nur als ultima ratio zulässig (…) [ist].«und sodann: »Eine Verschreibung von Betäubungsmitteln ohne Indikationsstellung und ohne Prüfung von Behandlungsalternativen ist unbegründet und nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 6a BtMG strafbar (…), weil sie nicht gewährleistet, dass gegebenenfalls andere und damit vorrangige Behandlungsmethoden zur Anwendung kommen.« Auch in der wesentlich umfangreicheren Entscheidung des Ersten Strafsenats, welche auch in die amtliche Sammlung aufgenommen wurde (BGHSt 59, 150), wird die fehlende Indikationsstellung sowie die nicht ausreichende Prüfung von Behandlungsalternativen (§ 13 I 2 BtMG) als maßgeblich für die Frage einer fehlenden Begründetheit erachtet. Die Entscheidungen dürften auch das rechtstatsächliche Problem der verminderten Attraktivität der Substitutionsbehandlung verstärkt haben, die sich wohl nicht nur, aber zumindest auch auf das wahrgenommene Strafbarkeitsrisiko zurückführen ließ. Dass dieses Strafbarkeitsrisiko nicht merklich höher gewesen sein dürfte, als in allen anderen Fällen, in denen ein Arzt grob pflichtwidrig gegen gesetzliche Vorschriften verstößt oder gar eine Gesundheitsschädigung des Patienten billigend in Kauf nimmt, geriet infolge der kurzen Abfolge veröffentlichter (höchstrichterlicher) Entscheidungen im Kontext einer Substitution in den Hintergrund.

[35] Das Verhältnis von Verstößen gegen die BtMVV und Begründetheit der Verschreibung im Gefüge der §§ 29 I Nr. 6 und 14 ist umstritten, die Positionen allerdings nicht immer ganz klar. Der BGH positioniert sich zwischen den Extrempositionen (jeder Verstoß gegen die BtMVV führt zur Unbegründetheit; BtMVV hat keine Relevanz für die Begründetheit) und differenziert nach der Art des Verstoßes, wobei bestimmte Normen Konkretisierungen des Begründetheitbegriffs  enthielten und in diesem Zusammenhang eine »verbindliche Richtschnur«  festlegten (BGH, Urt. v. 02.02.2012 – 3 StR 321/11; BGH, NJW 2014, 1680 (1682). Auch hier wird zwischen formellen und materiellen Vorschriften differenziert, allerdings angenommen, dass ein materieller Verstoß die fehlende Begründetheit allenfalls indiziert; Oğlakcıoğlu, in: Erb/Schäfer, MüKo-StGB, Bd. 7, § 29 BtMG Rn. 1176 f.; so wohl auch Laurinat, in: Prütting, Medizinrecht, § 29 BtMG Rn. 18; zusf. Anwar, Ärztliche Strafbarkeitsrisiken bei der ambulanten Behandlung von Patienten mit Betäubungsmitteln aus betäubungsmittelrechtlicher Sicht, 2. Teil. A. II. 2. g. dd), im Erscheinen 2024, welche sich der hier vertretenen Position anschließt.

[36] v. 22.05.2017 BGBl. I S. 1275.

[37] BR-Drs. 222/17, S. 29.

[38] Insofern wird an dieser Stelle auch nicht weiter der Frage nachgegangen, ob die BÄK-Richtlinie überhaupt auf einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage beruht, wo doch der Gesetzgeber mit § 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BtMG den Fall der zulässigen Übertragung einer Entscheidungskompetenz abschließend geregelt zu haben scheint, zum Ganzen Anwar, Ärztliche Strafbarkeitsrisiken bei der ambulanten Behandlung von Patienten mit Betäubungsmitteln aus betäubungsmittelrechtlicher Sicht, 2. Teil. C. I. 3. a), im Erscheinen 2024, welche sich der hier vertretenen Position anschließt.

[39] Das gilt v.a. auch vor dem Hintergrund, dass mit der Take-Home-Vergabe eine aus dem Blickwinkel der »Bevölkerungsgesundheit« wesentlich riskantere Form der Substitutionsbehandlung und -vergabe rechtlich unzweifelhaft zulässig ist und sogar Lockerungen erfahren hat, die nach der Pandemie verstetigt wurden, weil es hierdurch – siehe oben – zu keiner Beeinträchtigung der Sicherheit des Betäubungsmittelverkehrs gekommen ist.

[40] Genauer genommen hat der EGMR in der Unterlassung der zuständigen Behörden, die Notwendigkeit einer Substitution hinreichend zu prüfen, als rechtswidrig eingeordnet, vgl. EGMR, EuGRZ 2017, 260.

[41] Entsprechend heißt es auch in einer relativ aktuellen Publikation von Fährmann/Schuster/Stöver/Häßler/Keppler NStZ 2021, 271 zum Anspruch auf Substitutionsbehandlung im Gefängnis: »Zumindest bei einer schweren Opioidabhängigkeit stellt daher eine abgebrochene oder verweigerte Substitution ohne dokumentierten fundierten Grund und ohne Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten eine Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit dar.«

 

DROGEN|RECHT | Heft 0 | Januar 2025  | Substitution | Autor*in: Prof. Dr. Mustafa Oğlakcıoğlu