immer noch ein Pulverfass? oder: ›§ 31 BtMG – mit anderen Worten… werd Verräter oder geh Knast. Entscheide dich‹*
Dr. Jenny Lederer
I. Prolog
Als ich angefragt wurde, ob ich anlässlich dieses ansonsten so spannenden Symposiums zu ausgerechnet dem Thema »Verteidigung von und gegen Kronzeug*innen – immer noch ein Pulverfass?« referieren wolle, war meine Begeisterung zugegebenermaßen bescheiden.
Ich stellte und eigentlich stelle ich mir auch noch die Frage: was kann ich im Jahr 2024 schon Neues zu diesem Thema beitragen? Die Frage nach der Spannung und Brisanz, die das titelgebende Pulverfass (immerhin mit einem Fragezeichen versehen) zu versprechen tönt, müsste eigentlich verneint und bei dem Stichwort Kronzeugenregelung eher mit einem Gähnen oder – je nach Perspektive – defätistischen Schulterzucken quittiert werden.
Um beidem zuvorzukommen, möchte ich mich erst einmal auf anderem, aktuellem Wege dem Aufklärungsgehilfen und Verteidigung widmen, wenn schon die Aufklärungshilfe im BtMG älter als ich selbst ist und die Debatten hierum ähnlich ergraut sind:
1. …er wird einknicken!
»Die einzige Hoffnung auf ein Geständnis lag daher bei Ernest Burkhart. ›Man sah ihn sich an und erkannte sofort, dass er ein schwacher Charakter war‹, beobachtete White. Ein Staatsanwalt, der mit White zusammenarbeitete, äußerte sich noch etwas direkter: ›Unsere Wahl fiel auf Ernest Burkhart, weil er einknicken würde.‹«[1]
Diese erste Assoziation, hängt zum einen mit einer zuweilen zu beobachtenden Haltung der Ermittler*innen zusammen, zum anderen, jedenfalls im Zusammenspiel, mit einer Auseinandersetzung mit den Aussagen und der Geburtsstunde der Aussagen, die i.R.v. Kronzeugenangaben auch in aussagepsychologischer Hinsicht und unter Glaubhaftigkeitsgesichtspunkten mehr Bedeutung verdienen müssten, als dies oft der Fall ist (darauf komme ich später – ad D. II. – noch einmal eingehender drauf zurück):
Denn das Zitat stammt aus dem 2023er Scorsese Film ›Killers of the Flower Moon‹,[2] und gerade was die Aussage des Kron-Zeugen/-Angeklagten betrifft, die Aussagegenese, Aussageentwicklung von eben jenem Protagonisten Ernest Burkhart in seiner zuweilen Kronzeugen-Rolle und dem Ganzen, dem Mienenspiel und den Sorgenfalten eindrücklich zu entnehmenden Hin und Her in den dortigen verschiedenen Verfahren gegen ihn, gegen seinen Onkel – Geständnis, Geständnis-Widerruf, Bezichtigung, Widerruf, Versprechungen des FBI, Einflussnahmen – teilweise letale, finale – auf Zeug*innen etc. –, ist das schon sehr eindrücklich und bezeichnend; und wer nun spitzfindig stutzt wegen der titelgebenden ›Killers‹ und nicht das BtM im Vordergrund zu stehen scheint, sei besänftigt: unter den vielen Verbrechen, die in dem Film und Buch und der dahinter liegenden wahren Geschichte begangen wurden, finden sich auch eine Vielzahl an Vergiftungen und ein Mordversuch mittels Heroin-Insulin-Injektion, Vergiftungsversuche von unliebsamen Zeugen… insofern durchaus und viele BtM-assoziierte Delikte… wer ihn nicht gesehen hat: der Film wie auch das Buch lohnen sich, auch über die am Ende behandelten Strafverfahren und das Aussageverhalten und die Kronzeugenrolle (und meine Assoziationsketten) hinaus.
2. Hier wird nix gesagt!
Dass man pop- oder besser hiphopkulturell auch andere, näherliegende Verweise ziehen kann, liegt auf der Hand:
In dem Vortrag hätte ich vier Minuten füllen können mit dem Vorspielen eines Musikvideos zu ›Snitch‹ von Joyner Lucas,[3] in dem in einem dialogischen, einprasselnden Hin und Her auf einen Beschuldigten im Vernehmungsraum eingeredet wird, was ihn erwartet, was ihm droht.
Zum Beispiel einerseits: »Wenn du kooperierst, ist das deine Chance, dein Leben zu retten. Sag ihnen einfach, was sie wissen wollen, Und du wirst den Preis nicht zahlen, Manche würden es Verrat nennen, Aber ich nenne es: ›Tu das Richtige‹.«
Und andererseits die Gegenposition, die – etwas weniger vornehm, sondern expliziter, als ich es hier machen werde – mit »vergiss ›tu das Richtige‹« eingeleitet wird: »Lass es uns durchspielen (…). Jetzt bist du vielleicht frei, Aber du könntest getötet werden, wenn du Informationen preisgibst. Und wenn du nicht getötet wirst, dann ist es aus mit dir. Jeder wird dich als Ratte kennen. Du wirst für den Rest deines Lebens nicht mehr respektiert. Niemand will dich danach noch kennen. (…) Fehlende Moral und Integrität haben ihren Preis.«
Am Ende jedenfalls entsteht der Eindruck, der Beschuldigte gebe dem massiven Druck nach und verrate nun alles und vor allem: Jeden: »in Ordnung. Ich war’s.« Er nennt weitere Namen, er sagt, wer der Drahtzieher war. Man sieht, wie es weitergeht, Festnahmen, die Mittäter schweigen, er spaziert raus… Und: Er wird erschossen.
Aber dann: wird alles nochmal nach vorne, auf Anfang gespult, der Beschuldigte zündet sich im Vernehmungsraum ruhig eine Zigarette an und sagt, ebenso ruhig zu den zwei Vernehmungsbeamten: »I wanna see my lawyer.«
Dass das bei unserem Thema hier nicht zwingend bedeuten muss, dass er nicht doch noch auspackt, sei hier mal dahingestellt… Aber auch damit beschäftige ich mich im Folgenden noch.
Oder natürlich Xatars ›§ 31‹[4] – im Videoclip[5] wird ein Teil des Gesetzestextes der titelgebenden Vorschrift abgebildet und es folgen eingeblendet die Schriftzüge: »mit anderen Worten… werd Verräter oder geh Knast. Entscheide dich.«
In den Lyrics heißt es u.a. »Beichtest beim Feind und fängst an zu unterschreiben! Was für Anwalt und Richter, ich hab‘ nichts zu berichten, Denn nur Gott kann mich richten! Wer will schlichten, hier wird nix gesagt, Alles oder Nix, ein Wort wie ein Vertrag! Denn bei uns ist Schweigen Gold, denn Blei kann folgen mit Tausend Sachen sind wir aufgewachsen, es sind Blaulichter und raue Gesichter, Graues Schicksal, kein Traum ist hier sichtbar.«
Diese Devise, Schweigen ist Gold, hätte den Vortrag bei dem Symposium und diesen Beitrag stark abgekürzt, wenn nicht gar überflüssig gemacht – wenn sie denn beherzigt würde; aber die andere Seite, dass Beschuldigte auspacken und damit die Verteidigung von Kronzeug*innen, Verteidigung gegen Kronzeug*innen, gibt es nichtsdestotrotz immer wieder – wie es heißt: es ist »an der Tagesordnung«,[6] »gehört zum Alltag«, die Vorschrift ist eine »seit Jahren etablierte Regel«[7]… Wenig überraschend findet sie sich in § 35 KCanG natürlich auch wieder.[8]
Das heißt: immer noch ein vielleicht nicht zwingend Pulverfass – aber: immer wieder ein Ärgernis und eine Herausforderung.
Dies vorweggeschickt…
II. (Un-)Entbehrliche Untote?
Offenbar um ihrem Ruf als ›große Untote‹ gerecht zu werden, erscheint die Kronzeugenregelung und damit auch die Kronzeug*in auch immer wieder bei Tagungen in Referaten wiederaufzuerstehen. Sie – die Regelung und die Kronzeug*in – sind und bleiben wohl eine Dauererscheinung,[9] auf die wir uns eingerichtet haben und die wir wohl leider – sagt die Verteidigerin, die ich bin – auch nicht mehr loswerden, so wenig ich sie missen würde.
Nach wie vor bleibt § 31 BtMG die eher apodiktisch behauptete denn empirisch belegte Erwartung schuldig, mittels der Vorschrift könnten national und international agierende Großdealer überführt, könnten Bandenstrukturen aufgebrochen und Rauschgiftkartelle zerschlagen und Depots und Bunker entdeckt werden –[10] dies lässt sich, auf höherer Hierarchieebene, gar auf höchster Ebene weder feststellen noch ist es zu erwarten angesichts der verstärkt konspirativ und in der Anonymität agierenden Protagonist*innen im Internet, Darknet, mit Enchrochats und Co. Umgekehrt lassen auch die exzessive Ausweitung von Ermittlungsbefugnissen und ständigen strafprozessualen Erweiterungen es nahezu absurd anmuten, zum einen von einem (mittlerweile eigentlich erst recht als Dauer-)[11] Ermittlungsnotstand zu sprechen, dem man zum anderen ausgerechnet mit einem Denunzianten, der eigene Interessen verfolgt, mit einem Zeugenbeweis eine so hohe Bedeutung und durchschlagende Kraft beizumessen.[12]
Nach wie vor Geltung entfaltet demgegenüber m. E. und meiner Erfahrung nach die Kritik, die seit jeher insbesondere seitens Verteidigerïnnen, aber auch der Wissenschaft geübt wurde. Die Probleme der Kronzeugenregelung lassen sich nicht wegdiskutieren.
Dass die tragenden Säulen des Strafrechts, das Legalitäts- und Schuldprinzip, der Gleichheitsgrundsatz, mit der Unterschrift beim Feind, wie Xatar es formuliert, mit einem Freikaufen durch Denunziation kollidieren, galt 1981 und gilt auch 2024.
Auch, aber nicht nur, in Zusammenhang mit den Kronzeugenregelungen droht nach wie vor – und zwar nicht nur aus Strafverteidigerinnensicht – eine Abkehr von einem rechtsstaatlichen prinzipienorientierten Strafrecht verbunden mit einer verfehlten Zuwendung zum Vertragsgedanken in der präventiven Zweckorientierung.[13] Und mit dem Vertragsgedanken ist natürlich nicht der Xatar’sche »hier wird nix gesagt«-Vertrag gemeint, sondern die Kooperation. Das kooperative, konsensuale Moment, das auch der Kronzeugenregelung und ihrer Ausgestaltung in der Praxis immanent ist, entfernt sich immer mehr von den traditionellen Zielen eines Strafverfahrens mit der Feststellung der individuellen Schuld auf der Grundlage eines der Wahrheit möglichst weit angenäherten Sachverhaltes.[14] Sehenden Auges wird das eigentliche Bemühen, den wahren Sachverhalt gerichtlich zu ermitteln, kontaminiert.[15]
Vor Gericht ist – so wurde zu Recht in Zusammenhang mit der Einführung der allgemeinen Kronzeugenregelung geunkt – in Zukunft nicht mehr die Wahrheit das entscheidende Ergebnis, das ermittelt wird, sondern nur noch die Plausibilität.
Ein für alle Beteiligten akzeptabler Rechtsfrieden stiftender Kompromiss wird ausgehandelt. Zulasten von Dritten.
Die gegensätzlichen Positionen – der Kronzeuge sei gekommen, um als unerfreuliche Erscheinung zu bleiben, welcher aber nach wie vor, selbst nach seinen vielen Auferstehungen, kein Platz in einem strafprozessualen Paradies zustehe,[16] versus: Die Zeit sei über die Forderungen, nur in Extrem- oder Ausnahmefällen oder zurückhaltend Gebrauch zu machen, hinweggegangen, die Regelung sei ein unentbehrliches Instrument[17] – bestehen also fort.
III. Verräter*innen, Verlässlichkeit – Rollenkonflikte
In Zusammenhang mit der Einführung des § 46b StGB hatte König einmal den »fatalen Rollenkonflikt« für die Verteidigung dahingehend pointiert, dass Kronzeugenregelungen bei jeder Strafmaßverteidigung die Frage aufwerfen lasse, ob es da nicht noch irgendjemanden gebe, der sich anschwärzen ließe. Einen verlässlichen Ratschlag könne die Verteidigung jedenfalls nicht erteilen.[18]
Und die fehlende Verlässlichkeit gilt ja – auch mit Blick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung – auf so vielen Ebenen:
- Die nicht verlässliche Einschätzung der Beweislage gerade zu Beginn der Ermittlungen, insbesondere bei noch fehlender ausreichender Erkenntnisgrundlage und ohne umfassenden Überblick; damit flankierend: ein aktives Desavouieren des nemo-tenetur-Grundsatzes, weil eigentlich, dann auch in Gesprächen, Verhandlungsversuchen mit den Ermittlungsbehörden, die Schuld antizipiert, die Unschulds- in eine Schuldvermutung gewandelt wird; wohl bemerkt: aktiv durch die Verteidigung…
- die fehlende Garantie von Verbindlichkeit oder – wenn man schon nicht von einer Garantie oder Sicherheit sprechen will – eines Mindestmaßes an Kalkulationssicherheit der Polizei und Staatsanwaltschaft einerseits i.R.d. Präklusionsdruckes und bei einem erst späten und späteren Ermessen des Gerichts andererseits; eine zeitliche und kompetenzielle Verschiebung nach vorne findet statt, ohne dass sich die späteren Entscheidungsträger*innen gebunden fühlen müssten; einher geht damit gleichsam eine Verpolizeilichung (im Rahmen des Ermittlungsverfahrens in das kriminalpolizeiliche Vernehmungszimmer und damit aus der öffentlichen Hauptverhandlung und dem Hauptverfahren herausgelöst);
- die Unsicherheit der Bewertung etwa der Glaubhaftigkeit, der Konnexität, die immer wieder Gegenstand von BGH-Entscheidungen ist, des Wertes des Verrates.[19]
Im Grunde will man als Verteidiger*in zu einem möglichst günstigen Verfahrensausgang verhelfen, der sich aber kaum antizipieren lässt; ob sich eine Kooperation lohnt oder nicht, ist vielmehr eine Büchse der Pandora voller Mehrbelastung, Rückbelastung und Retourkutschen, Repressalien und enttäuschten Erwartungen: Viele Parameter sind unklar, und eigentlich verrät schon der Wunsch nach einer konkreten Berechenbarkeit den eigentlichen Verrat an den normalerweise hochgehaltenen Verteidigerprinzipien.[20] Im Gegenteil wäre zu fordern als ein Korrektiv bei all dem Kronzeugen-Wahnsinn, was bedauerlicherweise aber nie so richtig ernsthaft verfolgt, wenn auch wiederholt gefordert wurde – Transparenz dahingehend: Was wäre, vergleichbar mit der Vollstreckungslösung bei rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung, sonst verhängt worden, ohne Kronzeugenrabatt, ohne Aufklärungshilfe? Dann wäre in Folgeverfahren für die Verteidiger*in gegen den Kronzeugen transparent, was der Lohn für den Verrat war.
Hier mit der Besonderheit vielleicht auch: bei der so häufig vorkommenden überschießenden Selbstbelastung im Zuge von Geständnissen könnte und sollte man für sich als Kronzeugen-Verteidiger*in vielleicht noch die Gegen-Aufstellung als gedankliches, reflektierendes Korrektiv machen: hätte ich Kenntnis von der Akten- und Beweislage gehabt und nur das Nötigste wäre eingeräumt worden: was dann…
Aus meiner Verteidigerinnensicht ist mir – wegen vieler Vorbehalte, die ich gegen den § 31 BtMG (und seine Geschwister) hege – die ›Schweigen ist Gold‹-Devise durchaus am liebsten. Ein Kollege hat es einmal auf den Punkt gebracht: »Es mag Ausnahmen geben, aber eine Kurzformel für die Verteidigung kann hier lauten: Es ist abzuraten, weil die negativen Konsequenzen in der Sache (es werden möglicherweise mehr Taten bekannt als ohne die Aussage) und im persönlichen Bereich (Verlust des Beziehungsumfeldes oder sogar Bedrohung des familiären Umfeldes) die fraglichen und erst vom Gericht endgültig festzulegenden positiven Aspekte meist nicht aufwiegen.«[21]
Aber: auch damit belasse ich es an dieser Stelle nicht und beende Vor- und Beitrag, sondern werde noch ein paar Gedanken ausführen.
IV. »Was für Anwalt…?«
1. Haltung oder: Charakterbild einer/s Kronzeug*in (-verteidiger*in)
Mit Blick auf mein Selbstverständnis als Strafverteidigerin einerseits, meine grundsätzliche, höchstkritische Haltung zu Kronzeugenregelungen und meine Erfahrungen hiermit andererseits wird es wenig verwundern, dass ich auf nur sehr wenige Erfahrungen mit der Verteidigung von Kronzeugen berichten kann, wohingegen die Verteidigung gegen Kronzeugen Alltag ist. Beides mit wenig Freude verbunden. Während einige Kolleg*innen sicherlich direkt darauf anspringen, wenn angekündigt wird, was die Mandant*innen alles auszusagen bereit wären und wen sie angeblich alle ans Messer liefern könnten und würden, sieht man mir meine fehlende Begeisterung schon an und ich erkläre meine Zurückhaltung. Interessanterweise scheinen die angeblichen Informationen dann doch oft nicht so wertvoll zu sein und der erste Aussagedrang schnell versiegen. ›I wanna see my lawyer‹ kann also in die eine wie die andere Richtung gehen.
Bei der Verteidigung von Kronzeugen muss ich an ganze zwei Fälle denken, und bei denen kam ich um diese Rolle als Kronzeugenverteidigerin nicht bzw. nicht mehr herum, muss ich zu meiner Verteidigung vielleicht hinzufügen; und an beide Fälle musste ich seufzend mit Blick auf die Patzak-Kommentierung denken, dass es ja jedem Verteidiger und jedem Beschuldigten frei stehe, ob er die Voraussetzungen des § 31 erfüllen will oder nicht, weshalb er die Kritik der Mithilfe am Verrat und Hilfsbeamtentum als unbegründet betrachtet.[22] Denn:
Nicht herumkommen konnte ich um einen Kronzeugen/-angeklagten, da ich zu einem späten Zeitpunkt, kurz vor Beginn der Hauptverhandlung, erst als zweite Verteidigerin hinzukam und daher alles schon gelaufen war. Einerseits leider, weil der Mandant mir später – zwischenzeitlich unzufrieden mit dem Kollegen, der ihm zum Auspacken geraten und hierbei ›begleitet‹ hatte – aber leider auch zu spät sagte, dass und was denn alles nicht gestimmt habe an seinem eigenen ›Geständnis‹, das im Rahmen der Aufklärungshilfe mit dem ganzen Modus Operandi, all den – tatsächlichen, vermeintlichen, wer weiß das schon, wen interessiert es schon – Abnehmern und sonstigen Beteiligten notwendiges Übel schien und in stundenlangen Vernehmungen gleichsam abgenickt wurde.
Andererseits kann ich nicht sagen, ob und will ich nicht behaupten, dass ich mit meiner Herangehensweise, wenn ich von Beginn an dabei gewesen wäre oder alleine verteidigt hätte, auch zu dem insgesamt guten Ergebnis verholfen hätte. Wenn ich allerdings überlege, was durch oberflächliches, vorschnelles Abnicken von mehreren – offenbar ja auch unzutreffenden – Vorwürfen, bei denen womöglich auch einige Mittäter zu Unrecht mit hineingezogen wurden, und dankbares Zuhören und Aufschreiben der Ermittlungsbehörden strenggenommen dann auch nicht hätte abgeurteilt werden können, ist es schwierig, in der Rückschau zu bewerten. So oder so: der Mandant war und ist nach wie vor nicht glücklich über die damaligen Entscheidungen.
Die Tatsache, wie viele Vernehmungen er über sich hatte ergehen lassen müssen, Beschuldigten-, Zeugenvernehmungen bei der Polizei, Zeugenvernehmungen in dann abgetrennten Ableger-Verfahren, über die er mich – als er keine Lust mehr hatte auf mühselige JVA-Transporte und Aussagen und immer wieder den Ärger darüber, womit er sich zu Unrecht auch belastet hatte – irgendwann informierte und ich mit dem Ziehen von § 55 StPO dem Ganzen ein Ende bereitete.
Mein Ärger über den Kollegen (der zwar schön anwesend bei den Vernehmungen war, aber das, was ein Richter in einem Aufsatz einmal pointiert hat – möglichst wenig Informationen für den größtmöglichen Nutzen – nicht gerade beherzigt und die Akten mit Blick auf Beweislage oder sonstige Fallstricke (oder auch generell) nicht ganz so gut kannte; aber immerhin: anders als ich war er auf Du mit den Ermittler*innen und der Staatsanwältin…) war umso größer, als er sich mit Ende des polizeilichen Vernehmungsmarathons um gar nichts mehr scherte… Und als sich mehr und mehr herauskristallisierte, dass er die Aktenlage nicht kannte, es sich denkbar leicht gemacht hatte und auch zu keinem Zeitpunkt einmal in Ruhe mit dem Mandanten besprochen und nicht nur auf etwaige Chancen, sondern auch potentielle negative Konsequenzen hingewiesen hatte. Und denkbar leichter als ich vermutlich, die in einem ersten Schritt große Zurückhaltung gezeigt und gewarnt hätte und in dem zweiten Schritt vorbereitet und notfalls interveniert hätte.
Wir erinnern die zwei gegenseitigen Pole: ›Du wirst den Preis nicht zahlen‹ vs. ›Fehlende Moral und Integrität haben ihren Preis‹.
Nicht nur in diesem Zusammenhang habe ich mich gefragt, ob man eigentlich neben das sehr lesenswerte satirisch-überspitzte »Charakterbild des Kronzeugen«, das in den 1980ern einmal mit den »sieben goldenen Regeln für den Kronzeugen« gezeichnet wurde,[23] nicht einmal auch ein »Charakterbild eines Kronzeugenverteidigers« stellen könnte und sollte; ob die dortige Regel Nummer 2 – »du bist (…) ein dreckiger Hund und ein Verräter, wenn du (…) ohne Not singst« in Form eines »Singen-Lassens«gespiegelt werden sollte, sei dahingestellt, aber einfallen würden mir spontan vielleicht nicht sieben, aber durchaus einige Regeln.
In einer anderen Sache war eine Vielzahl von Personen hochgenommen worden und mein Mandant war – ausgerechnet – der eingangs angesprochene Ernest Burkhart: Ich erinnere nochmal: »Man sah ihn sich an und erkannte sofort, dass er ein schwacher Charakter war«; und: »Er würde einknicken.«
Schon die Aussicht auf Freiheitsentzug machte ihn fertig. Oder um einen Richter zu zitieren: »Insbesondere wenn sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet, kann es vorkommen, dass es durch die ersten Haftimpressionen zu einem Umdenken bezüglich der Kooperations- und Aussagebereitschaft kommt.«[24]
Schon bei dem Zugriff war mein Mandant auf die Möglichkeiten und Chancen einer Aussage gegen den Haupttäter – ich sag‘ mal so – »eindringlich hingewiesen« worden und wollte es auch um jeden Preis machen. Ich konnte ihn nicht abhalten, auch wenn sein eigenes Verfahren auch ohne belastende Aussage des Haupttäters bestimmt glimpflich ausgegangen wäre und ich ihn auf die Nachteile, neben dem unsicheren Vorteil, hinwies… Die Aussicht auf die Außervollzugsetzung des Haftbefehls überwog bei ihm und ich stand ihm zur Seite.
Einige Zeit nach unserem Verfahren sah ich mich in dem Ablegerverfahren gegen den Haupttäter mit – sicherlich nicht nur aus polizeilicher, staatsanwaltschaftlicher, sondern vermutlich auch Verteidigersicht des Haupttäters – schwachem, schnell einknickendem nun Zeugen wartend vor dem Sitzungssaal. Schlafmangel seit Tagen, die Schweißperlen auf der Stirn, am Rande des Nervenzusammenbruches, einiges schon mir gegenüber relativierend. Die Wartezeit zog sich, die Transpiration nahm zu. Dann die Erlösung: Sie werden nicht mehr benötigt. Der Angeklagte hat ein Geständnis abgegeben…
Auch insofern die große Frage, ob der nemo-tenetur-Grundsatz durch den Druck der existierenden Aussage nicht aufgeweicht wurde…
Nun gut, was davon, von jenem Geständnis, dann alles der Wahrheit entsprach, ist nicht mehr mein Problem gewesen, aber beides waren Erfahrungen mit Mandanten als Kronzeugen, die nicht dazu geführt haben, mein Mienenspiel zu überdenken und Enthusiasmus an den Tag zu legen, wenn Mandant*innen vermeintlich umfassende Aussagebereitschaft ankündigen und sich Vorteile erhoffen.
2. Befreiung der geplagten Seelen
Größeres Ärgernis ist vielmehr die Verteidigung gegen Kronzeugen.
Auch das eine schöne Koinzidenz: als die Anfrage für den Vortrag kam, schlug ich mich herum mit einem Kronzeugen auf der Anklagebank, der behauptete, mein Mandant und der weitere Mitangeklagte seien Mittäter und meiner vor allem: der Haupttäter. Und erst kurz vor dem Symposium und dem Vortrag ist das Verfahren – zwischenzeitlich gegen den Kronangeklagten abgetrennt – nach zähem Ringen nun endlich auch für meinen Mandanten und den Mitangeklagten beendet worden.
In jenem Verfahren fragte der Vorsitzende – und er meinte diese Frage nicht rhetorisch, oder ironisch, sondern ganz ernsthaft: »Warum sollte Herr X die Unwahrheit sagen?!« Um es hier schon einmal vorwegzunehmen: Mir als Verteidigerin eines Mitangeklagten gegen jenen Kronangeklagten X fielen sofort sehr viele Gründe ein, warum er die Unwahrheit sagen könnte und sollte und gesagt hat. U. a. seine Rolle und die erhofften Vergünstigungen…
Diese Frage kam immer wieder auf: im Rahmen einer vorläufigen rechtlichen Würdigung. Im Rahmen eines – wäre auch nur eine Nuance an dem Vorwurf dran, durchaus reizvollen – Verständigungsangebotes. Im Rahmen von Beweisanträgen. Im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen Plädoyers und – selbstverständlich – auch der Plädoyers der Verteidigung. Und: im Rahmen der Urteilsverkündung.
Wenn auch – möglicherweise bedingt auch durch das Konnexitätserfordernis – Kronzeugenangaben nicht selten eine überschießende Selbstbelastung innewohnen und dadurch nicht selten – jedenfalls in der Rückschau, bei zwischenzeitlich erlangter umfassender Kenntnis der Akte und Beweislage und Eindrücken aus der Hauptverhandlung – eine härtere Bestrafung drohen kann, ist umgekehrt m.E. – aber wahrscheinlich eben aus meiner Perspektive als verteidigender Verteidigerin und nicht strafverfolgungsunterstützender Verteidigerin – gravierender: die Fremd- und Falschbelastung.
Das Problem wird gesehen und erkannt, denn immer wieder wird hervorgehoben, dass Straftäter*innen zur Vermeidung eigener Bestrafung oder jedenfalls Vermeidung erheblicher Rechtsfolgen zum Leugnen von Eigenverantwortung tendieren, flankiert durch ein Externalisieren und das Abwälzen auf Dritte und Fabulieren, was Mittäter*innen und Taten betrifft. Immer wieder wird auf die hohe Missbrauchsgefahr, die Versuchung hingewiesen, Dritte grundlos und zu Unrecht zu belasten. Immer wieder wird konstatiert, dass die Gefahr von Fremd-/Falschbelastungen Dritter umso greifbarer ist, je höher der Anreiz und der Druck zur Selbst-Entlastung ist.
Manchmal frage ich mich – wenn die Polizei und Staatsanwaltschaft allzu begeistert auf Angaben von Kronzeug*innen reagieren – ob nur wir Strafverteidiger*innen dieses kritische Bild unserer Mandant*innen haben…
Der Wahrheitsgehalt von Kronzeugenangaben wird immer wieder problematisiert, sowohl in ihrem eigenen Verfahren – wobei das meiner Erfahrung nach weniger der Fall ist, erst recht nicht, wenn eine Verständigung hinzukommt –, dann aber jedenfalls auch in den Verfahren gegen die betroffenen, denunzierten Dritten, wenn sie nicht parallel, gemeinsam verhandelt werden – und: wenn sie nicht dem Druck erliegen und ihrerseits gestehen. Das jedenfalls ist die Kern-Aufgabe der Verteidigung gegen Kronzeugen: den Wahrheitsgehalt der Aussagen zu hinterfragen, die Geburtsstunde der Aussagen zu erhellen, die Aussagegenese zu erhellen, Versprechungen transparent zu machen… Leider ist es nicht so wie in dem Buch oder Film der ›Killers of the Flower Moon‹, wo man die einzelnen Schritte bis hin zu der Begnadigung nach zehn Jahren Freiheitsentzug statt lebenslanger Strafe (nach US-Recht)[25] nachgezeichnet bekommt.
Anders als bei Regelungen wie dem TOA bedarf es i.R.d. § 31 BtMG ja auch nicht etwa einer Verantwortungsübernahme, eines Geständnisses oder gar Reue – solange er nur über Dritte aufklärt; nicht entscheidend sind – wie einmal formuliert wurde – »seine eigenen Wertvorstellungen und Gefühle wie etwa die Frage, ob er die Tat bereut oder zu einer Lebensumkehr bereit ist«.[26] Auf Schuldeinsicht, Reue, altruistische Aufklärungsmotivation kommt es jeweils nicht an. Oder, um ebenfalls zu zitieren: die Gemeinheit der Denunziation schafft die Grundlage für die Strafmilderung, nicht die reuige Regung des Gewissens.[27]
Wobei das natürlich nicht ausgeschlossen ist und gut ankommen wird, wenn man sich besonders reuig zeigt. Bei den erwähnten ›Killers of the Flower Moon‹ meinte ein Staatsanwalt zu erkennen, dass Ernest Burkhart »jetzt Jemand [sei], ›dessen Geist im Reinen ist, weil er seine geplagte Seele von einem grausigen Geheimnis befreit [habe]‹.«[28] Ja klar…
Es klingt immer so gut und trifft ja auch zu, dass den Gefahren von Falschbelastungen im Interesse der Wahrheitsfindung, im Interesse der Vermeidung von Fehlurteilen begegnet werden müsse, sowohl beim Denunzianten als auch beim Denunzierten.
So einfach ist das aber nicht – und der Kronzeugen-Verteidiger hat ein denkbar bequemeres Leben, wenn er frühzeitig seinen Job gemacht hat – immerhin Begleitung zu einer oder mehreren Vernehmungen – aber sich zu jenen frühen Zeitpunkten kaum mit der Akten- und Beweislage beschäftigen und sich einer wesentlich anstrengenderen, aufwendigeren Beschäftigung und Konfrontation mit dem Tatvorwurf[29] widmen musste… Und dann eher zurücklehnt und seinen Kronzeugen machen lässt und ihn sich seinem Schicksal nicht selten überlässt.
Aussagepsychologisch ist jedenfalls dann Augenmerk auf Aussagen der/des Kronzeug*in zu legen, wenn er sich auch selbst belastet oder belastet hat. Und sagen wir es mal so: Er ist ja nicht ohne Grund Beschuldigter und muss mit Blick auf das Konnexitätserfordernis ja mit den Straftaten zu tun haben.
Wenn er – zutreffend – eigenes Erleben schildert, stellt sich immer die Frage, ob das, was er darüber hinaus – Taten, Täter*innen, Beteiligte – schildert, auch Erlebnisgehalt aufweist.
Immerhin nach höchstrichterlichen Maßstäben sollte es so sein, dass wenn keine wesentlichen, die Glaubhaftigkeit steigernden Aspekte zu erkennen sind, wenn die belastenden Aussagen gerade nicht durch ein weiteres aussagekräftiges Indiz gestützt werden, man in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation ist und – gerade in motivatorischer Hinsicht, was den aus einer belastenden Aussage resultierenden Nutzen betrifft – kritisch hinterfragen muss.[30]
Und man muss als Verteidiger*in gegen einen Kronzeugen entgegenhalten, dass sich aus dem lediglich Bekunden selbst erlebten Tatgeschehens für die Mitwirkung von angeblichen Mittätern z.B. regelmäßig keine glaubhaftigkeitssteigernden Umstände ergeben,[31] sondern aus normalerweise für eine Glaubhaftigkeit einer Aussage heranzuziehende Parameter wie einer überzeugenden, widerspruchsfreien, detailreichen Schilderung zu Kern- und Randgeschehen, überzeugende und spontane Beantwortung von Fragen, hier nicht Platz greifen.
Gerade das Bagatellisieren und Relativieren des eigenen Beitrages und der Rolle, das Externalisieren auf Dritte und das Aufbauschen von Beiträgen Dritter gilt es – noch dazu in motivatorischem Zusammenhang – kritisch zu hinterfragen.
Dass man als geständiger Kron-Angeklagter in der Lage sein dürfte, einigermaßen konstant ein Kerngeschehen zu berichten, macht es nicht immer leicht, den übrigen Verfahrensbeteiligten zu verdeutlichen, dass hier die Unwahrheit gesagt wurde. Und – wie bereits erwähnt – manchmal wird man ja ernsthaft mit der Frage konfrontiert, warum ein Zeuge dies tun, also die Unwahrheit sagen, sollte…
Es wird also stets gemahnt, dass es einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung bedarf, dass das Tatgericht, wenn die Überzeugung des die Täterschaft bestreitenden Angeklagten entscheidend von der Glaubhaftigkeit des Mittäters abhängt, die für die Richtigkeit der Angaben des Belastungszeugen sprechenden Gesichtspunkte umfassend prüfen, würdigen und in dem Urteil deutlich machen muss, noch dazu, wenn die belastenden Angaben nicht mehr unmittelbar von dem – von seinen ursprünglichen Angaben abrückenden – Mittäter repliziert werden, sondern nur mittelbar durch eine Ermittlungsperson wie den Berichterstatter eingeführt werden können;[32] wobei ich nur am Rande hinzufügen darf, dass nach meinem Eindruck jedenfalls die flankierenden Vorschriften der §§ 145d Abs. 3 und 164 Abs. 3 StGB niemanden davon abbringen dürften, die vermeintliche Kronzeugen-Chance zu ergreifen, wenn sie hierzu bereit sind und ggfs. auch anwaltlich und durch die Ermittlungsbehörden bestärkt werden.
Einhergehend mit den aussagepsychologischen Problemen muss man immer wieder konstatieren, was für einen Aufwand es zuweilen bedarf – wie viele Hauptverhandlungstage manchmal in Anspruch genommen werden, wie sehr das Verfahren aufgebläht wird –, um mühselig die Aussagegenese zu erhellen i.R.d. Beweisaufnahme; das Zustandekommen der Aussage, die Aussageinhalte zu hinterfragen, wenn wenig ergiebige Vernehmungsprotokolle durchzugehen sind; den Versuch zu unternehmen, etwaige Versprechungen herauszuarbeiten oder nicht protokollierte, nicht erwähnte, aber erahnte Vor- und Zwischen- und Nachgespräche zu hinterfragen. Da helfen auch zuweilen existierende audiovisuelle Vernehmungen nicht weiter, wenn jene nicht aufgezeichneten Gespräche fehlen… Aber immerhin sind audiovisuell dokumentierte Kronzeugen-Vernehmungen wesentlich hilfreicher – auch, was die zu beobachtende Interaktion der Beteiligten betrifft – als die bloße Zusammenfassung oder Niederschrift, bei der sich immer wieder bei der Befragung – sei es des Kronzeugen, sei es der Vernehmungsbeamt*innen – Defizite, Lücken, Fehler herauskristallisieren lassen…
Wenn man die früheren Kronzeugen erlebt, die möglicherweise abblocken, sich auf § 55 StPO berufen, ihre Aussage widerrufen, sich im Zeugenschutzprogramm befinde, erlebt man so manch eine Überraschung.[33]
Die Frage, die ich mir zuweilen stelle – und die sich bei der Frage des Vorsitzenden aufdrängte, der sich nicht erklären konnte, warum denn unser Kronangeklagter lügen solle – ist manchmal, ob die Beteiligten nicht allzu schnell glauben und glauben wollen, was ihnen da präsentiert wird. Und das beginnt bei der Polizei (vielleicht auch bei dem Kronzeugen selbst, der ja nicht ohne Grund externalisiert und ihm sein Narrativ vielleicht auch besser gefällt als die Wahrheit, was seine eigene Rolle betrifft), droht dann aber, sich im Sinne eines Ankereffektes durch die Verfahren zu ziehen.
Hat man einen geständigen Kronzeug*
in, kann oder sollte man die Augen nicht davor verschließen, dass zum einen das Geständnis nach wie vor als ›Krone der Ermittlungsarbeit‹ gilt, was besorgen lässt (wie man leider ja auch alltäglich feststellen kann), dass die Strafverfolgungsorgane Geständnis und Wahrheit im Grundsatz gleichzusetzen scheinen. Umgekehrt stellen ja falsche Geständnisse keineswegs eine seltene Ausnahme dar.[34]
Wenn schon das Geständnis eine Art Krönung darstellt, dann umso mehr, wenn über das Geständnis hinaus ausgepackt wird. Was für ein Coup, was für ein Ermittlungserfolg.
Dann erfährt man natürlich nicht gerne im Laufe des Verfahrens, einem Lügner aufgesessen zu sein – wenn es denn der Verteidigerin im besten Fall gelingt, die Lügen zu decouvrieren.
Ob da – neben den höchstrichterlichen Vorgaben – eine sog. »Corrobation«-Regelung evtl. als ausdrückliche Regelung im Sinne eines Korrektivs weiterhelfen könnte, weiß ich nicht. Auch wenn höchstrichterliche Rspr. schon Vorgaben macht, könnte es evtl. dennoch charmant sein – und sei es auch ›nur‹, dass es einen psychologischen Effekt auf die richterliche Entscheidungsfindung hätte –, wenn man nun schon die Kronzeugenregelung selbst nicht mehr loswerden wird, dass es jedenfalls keine Verurteilung allein aufgrund der Aussage eines Kronzeugen geben dürfe. Evtl. – ich weiß es nicht, halte es aber für bedenkenswert – könnte man so mehr Sorgfalt und Sensibilisierung erwarten.[35]
Dass die Kammer in jenem erwähnten Verfahren nach vielen Hauptverhandlungstagen, an denen das Signal in eine ganz andere Richtung ging und ganz klar kommuniziert wurde, dass sie dem Kronangeklagten glauben und glauben will und einen Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens – selbstverständlich – wegen eigener Sachkunde ablehnte, bei unserer Urteilsverkündung dann doch noch umschwenkte und die Zweifel überwogen, hätte ich nicht mehr für möglich gehalten.
Auch wenn sein Leben in diesem Verfahren ein wesentlich bequemeres war: mit dem Kronzeugenverteidiger wollte ich nie tauschen.
Dass der Kronzeuge/Kronangeklagte in den sozialen Medien vor seiner Inhaftierung einmal ein Profilbild eingestellt hatte »Sag deine Wahrheit«, war eine schöne Pointe bei diesem Ergebnis. Darüber, dass ausgerechnet dieser Blender im Gefängnis meine absolut gegen ihn gerichtete Verteidigung lobte, musste ich lachen, als ich davon erfuhr.
V. Avocata creativa
Um langsam zu einem Ende zu kommen:
Bei anderer Gelegenheit, vor längerer Zeit und daher vielleicht auch etwas altklug daherkommend, habe ich bereits einmal problematisiert, dass aus einer advocata, die ich bin und als die mich sehe – also einer um Beistand Ersuchten, einer Be- oder Herbeigerufenen – eine avocata zu werden droht, eine Abberufene, eine – von ihren eigentlichen Aufgaben – Abgehaltene, eine Abgelenkte.
Das Janusköpfige ist, dass die Kronzeugenregelung dem (nicht nur, aber jedenfalls meinem Selbst-)Verständnis als Verteidigerin und des Verteidigerberufes diametral entgegengesetzt ist. Während unser Kritizismus doch nach wie vor – so oft, aber ja auch nicht ohne Grund dieses Alsberg’sche Dictum auch bemüht wurde und wird – den hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit hemmen will oder sollte, pervertiert der Kronzeugenvertreter diese Aufgabe, indem er – nicht selten gerade das: hochgemut und voreilig – aktiv zu der Überführung der eigenen Mandant*in und anderer beiträgt. Die eigentliche Aufgabe eines Schutzes vor einer Abwehr von strafender staatlicher Gewalt droht aufgegeben zu werden, mit einer Rolle als stattdessen Vermittler*in staatlicher Strafverfolgungsinteressen.
So viel auch hier vielleicht zu Moral und Integrität.
Ein ähnliches, vergleichbar unrühmliches Phänomen kann man zuweilen bei Strafverteidiger-Kolleg*innen beobachten, die auch Nebenklage-Vertretungen übernehmen und plötzlich und ohne Schamgefühl einen erschreckenden Verfolgungseifer und ein Bestrafungsbedürfnis bei ihrem Seitenwechsel an den Tag legen und ihre sonst gerne lautstark in foro reklamierten Maximen vergessen und verraten, wenn sie spätestens im Plädoyer die Strafvorstellungen der Staatsanwaltschaft überbieten.
Vielleicht entspricht es mittlerweile dem Zeitgeist, der immer mehr zugunsten von konsensualen und zulasten von konfrontativen Aufweichungen des Strafprozesses tendierenden Entwicklung wird Vorschub geleistet; ich kann mich indes nicht damit anfreunden. Ich weiß nicht, ob mein Verständnis, mein Selbstverständnis als Verteidigerin zeitgemäß ist, ob meine kritische Haltung und diejenigen vieler, die sich kritisch mit § 31 und seinen Geschwister-Vorschriften auseinandergesetzt haben, noch geteilt wird oder auf ungeteilte Zustimmung stößt;[36] Zweifel daran, dass Kritik geteilt wird, hatte ich wahrscheinlich das erste Mal, als ich anlässlich eines Gespräches zwischen einer Staatsanwältin, einem Kollegen und mir den Kollegen auf »Angebote« der Staatsanwältin hinsagen hörte: »das werde ich meinem Mandanten schon verkaufen können« – während ich innerlich schon das ganze als Zeitverschwendung abgetan hatte und dann nur dachte: Ich will meinem Mandanten ein sich so von einem m.E. gerechten individuellen Schuldausgleich entfernendes Angebot überhaupt nicht »verkaufen« müssen, ich will überhaupt nichts »verkaufen« und mich und – hochtrabend gesprochen: die Verteidigung – korrumpieren wollen…[37]
Aber ich jedenfalls will mich der Haltung aus den 1980ern anschließen:[38] Ich will und werde nicht von kooperationsbereiten Beschuldigten zur Helferin der Ermittlungsbehörden gemacht werden, ich werde nicht meine Tätigkeit pervertieren, indem ich nicht mehr dem staatlichen Strafanspruch entgegentrete, sondern mich vielmehr überwiegend als Strafverfolgerin zur Überführung anderer Täter beteilige; ich werde mich nicht – noch dazu nicht unbemerkt – vor den Karren der Ermittlungsbehörden spannen lassen. Ich will und werde nicht Teil eines Heeres von Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft, indem ich
»zum Verrat rate (…), zwischen Aufklärungsgehilfen und Staatsanwaltschaft vermittele(…) und [meinen] (…) eigenen Beitrag zum Aufklärungserfolg, sprich der Festnahme und Überführung bis hin zur Verurteilung anderer leiste«,
ich will nicht Gehilfin der
»Erpressung meiner Mandanten werden wollen nach dem Motto ›entweder du packst aus oder du erhältst eine harte Strafe‹.«[39]
Das ›Rad zurückdrehen‹ wird mir ebenso wenig gelingen, wie dies seit den zitierten Ausrufen gelungen wäre; aber ich halte hoch, dass ich meine Verteidigungslinie jedenfalls nicht auf dem Verrat aufbaue und mein Bestes tue, um die Lügen von Kronzeugen zu decouvrieren und Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen zu säen…
Die Warnung vor einem Abgleiten in Fatalismus und gleichzeitige Ermunterung und Aufforderung nach mehr Kreativität, zu der Conen uns Verteidiger*innen aufgerufen hat,[40] bedeutet Arbeit und Engagement, Mühe und zuweilen Misserfolg. Aber wenn es dazu verhilft, Fehlurteile zu verhindern, die auf Kronzeugenangaben beruhen würden, ist das der Anspruch, der zumindest mich in meinem Alltag und meinem Selbstverständnis begleitet.
VI. Epilog
Wenn ich den Vor- und Beitrag begonnen habe mit einigen Zitaten, möchte ich auch mit einem Zitat enden und komme zurück auf das Auferstehen der Untoten u. a. bei Vorträgen und auf das zu Beginn angesprochene, von mir antizipierte oder mich selbst dabei auch erwischende Gähnen, was das Thema ›Kronzeugenregelung‹ betrifft:
Es stammt von meinem Doktorvater, der mir bei der Abschlussbeurteilung meines Rigorosums folgenden Tipp mit auf den Weg gab: »Liebe Frau Lederer, wenn Sie als Verteidigerin Ihre Plädoyers halten, sollten Sie die vielleicht mit etwas mehr Verve vortragen.«[41]
Daran habe ich seither oft gedacht – aber noch mehr bei der Vorbereitung des Vortrages hier, denn: vorgegebenes Thema meines damaligen Vortrages bei dem Rigorosum war:[42] »Die Kronzeugenregelung im Spannungsfeld der Strafverteidigung«.
[1] Grann, Das Verbrechen. Killers of the Flower Moon, 2018, S. 233 f.
[2] Und dem zugrunde liegenden Buch, siehe FN 1.
[3] https://www.youtube.com/watch?v=74HaJcmgUBw (zuletzt aufgerufen am 15.02.2024). Der „Snitch“ spielt in vielen Tracks eine prominente Rolle, so auch in dem titelgebenden von Obie Trice, bei dem es – mit ähnlicher Grundaussage wie bei Joyner Lucas – u. a. heißt: „Just don’t – whatever you do – snitch cause you will get hit and pray I don’t face you; … Once he got pinched, coincided with law.“
[4] Auch Schmidkonz, Kriminalistik 2023, 477, verweist hierauf.
[5] https://www.youtube.com/watch?v=tGTw4PwJjWc (zuletzt aufgerufen am 15.02.2024).
[6] Vgl. Patz-ak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl. 2022.
[7] Vgl. Salditt, StV 2009, 375, 376.
[8] Aber da es ›nur‹ den Anwendungsbereich des KCanG betrifft, wird der ›35er‹ sicherlich nicht den ›31er‹ ablösen, genauso wenig, wie man bislang von dem ›46b-ler‹ oder entsprechender popkultureller Verarbeitung gehört hätte.
[9] Conen, StraFo 2018, 227.
[10] Zur (Un-)Wirksamkeit von Kronzeugenregelungen, was die Zerschlagung von OK betrifft, vgl. Ambos, ZStW 2020, 24, 46 ff., der auch in seinem Beitrag insgesamt einen guten Überblick über Kronzeugenregelungen verschafft.
[11] So schon pointiert Kunert/Bernsmann, NStZ 1989, 457, in Zusammenhang mit dem Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 09.06.1989 (BGBl. I S. 1059).
[12] Bernsmann, JZ 1988, 539, 540, sah wenige Jahre nach Einführung des § 31 BtMG die »vielzitierten ›Hintermänner‹ des Rauschgifthandels bislang noch nicht in Furcht und Schrecken versetzt.«
[13] Albrecht, Schriftliche SN vom 24.03.2009, S. 4 ff. sowie mündliche Äußerungen in der Anhörung zu dem ›Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe (… StrÄndG) BT-Drucksache 16/6268‹ am 25.03.2009, Protokoll Nr. 133, S. 4.
[14] Vgl. hierzu König, StV 2012, 113; eine problematische Entwicklung hin zu einer Stärkung eines kooperativen Prozesses sieht auch Sch/Sch-Kinzig, StGB, § 46b Rn. 2.
[15] Vgl. DAV, SN 69/2011, S. 4.
[16] So Conen, StraFo 2018, 227.
[17] So Weber, BtMG, § 31 Rn. 7.
[18] König, NJW 2009, 2481, 2483 f.
[19] Vgl. etwa BGH 3 StR 440/22 (zum Konnex); BGHSt 63, 210 in einem Fall des Absehens von Strafe und indirekten und direkten Segelanweisungen an das Tatgericht.
[20] Ähnlich Conen, StraFo 2018, 227, 229.
[21] Gubitz, StraFo 2023, 120, 122.
[22] Patzak, BtMG, § 31 Rn. 12.
[23] Baier zit. bei Kempf, StV 1999, 67.
[24] Schmidkonz, Kriminalistik 2023, 477, 478.
[25] Vgl. Grann (FN 1), S. 268 (Verurteilung zu »lebenslanger Haft und Schwerarbeit«) sowie S. 311 f. (Begnadigung nach »kaum mehr als zehn Jahren verbüßter Freiheitsstrafe«, die vermutlich »wenigstens teilweise auf seiner Kooperation im Rahmen der FBI-Ermittlungen« gegründet habe. Der Ermittler White habe es »stets Burkharts Geständnis zugeschrieben, dass er den Fall noch hatte retten können«, aaO.
[26] Endriß, StraFo 2004, 151, 152.
[27] Strate, ZRP 1987, 314.
[28] Grann (FN 1), S. 268.
[29] So auch Conen, StraFo 2018, 227, 230.
[30] BGH StraFo 2011, 358 f.
[31] Vgl. BGH, StV 2006, 683; StV 2007, 284 = StraFo 2007, 202; StraFo 2007, 294; BGH, Beschl. v. 06.02.2008 – 5 StR 597/07; vgl. auch BGH, Beschl. v. 08.12.2005 – 4 StR 198/05.
[32] BGH, Beschl. v. 09.01.2020 – 2 StR 355/19, Rz. 11.
[33] Bernsmann, JZ 1988, 539, 541, hat einmal von dem »mit einem etwas dramatischen Unterton berufene[n| Kronzeuge[n]« gesprochen, der dann in der Praxis »zum meist halbherzigen Kollaborateur mit der Polizei [schrumpfe], der aus sicherer Deckung heraus andere – nicht ganz selten zu Unrecht – belastet (…).«
[34] Vgl. Sickor, Das Geständnis, 2014, S. 245 f. mwN.
[35] So auch König, StV 2012, 113, 115.
[36] Dies zweifelt auch Conen an, StraFo 2018, 227. Instruktiv ist die Befragung von Strafverteidiger*innen zu § 46b StGB von Kaspar/Christoph, StV 2016, 318 ff.
[37] Vgl. schon Conen, StraFo 2018, 227, 230.
[38] Weider, Schriftenreihe der Strafverteidigervereinigungen, 11. Strafverteidigertag, 1987, S. 196, 198 ff.
[39] Vgl. auch Hannover, Terroristenprozesse, 1991, S. 142: gegenüber einem potentiellen Kronzeugen, der als »kleiner Fisch« eingestuft wurde, wurde unumwunden geäußert: »Hören Sie mal zu, sagen Sie was. Wenn Sie nämlich nicht aussagen, laufen Sie Gefahr, dass Sie ein großer Fisch werden.« Oder, wie es der Verteidiger des Denunzierten in seinem Plädoyer formulierte und zu Recht interpretierte: dass er zu einem großen Fisch gemacht wird.
[40] Conen, StraFo 2018, 227, 230.
[41] Das können die Leser*innen dieses Beitrages – außer, sie waren auch bei dem Symposium anwesend – bedauerlicherweise nicht beurteilen, ob es dieses Mal wenigstens mit Verve vorgetragen wurde.
[42] Recht frisch nach Einführung des § 46b StGB.
DROGEN|RECHT | Heft 0 | Januar 2025 | Kronzeugen | Autor*in: RiBGH Dr. Jenny Lederer