vor der lage
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Die Themen

»Wir müssen bei Gefahren vor die Lage kommen. Wenn wir eine Person haben, die wir als gefährlich erkennen, dann müssen wir sie so schnell wie möglich von der Straße bekommen.«
Herbert Reul, Innenminister NRW

Eigentlich hat das Ressort eines Innenministers auf den ersten Blick wenig mit Gefühl zu tun. Sein Geschäft ist die Gewährleistung der (technischen) Funktionsfähigkeit des Staatswesens im Inneren, eine nüchterne Angelegenheit, geprägt von Zahlen und Statistik. Gemeint sind damit neben der Verwaltung u.a. auch die Polizeibehörden, deren Organisation und technische Ausrüstung sowie natürlich Bewaffnung. Die unlängst erfolgte Umrüstung bspw. der Bundespolizei und in deren Nachgang etlicher Landespolizeien auf die Mitteldistanzwaffe MP7, die u.a. in Baden-Württemberg, NRW und Berlin bereits zur Polizeiausrüstung gehört, hat wenig mit Gefühl zu tun, sondern mit Zahlen: Die Waffe erreicht mit einer entsprechenden Zielvorrichtung versehen nach Auskunft des Herstellers Heckler & Koch eine »Einsatzreichweite von 200 Metern mit wirksamen Brusttreffern«.1 Weniger Gefühl geht nicht.
Innenministerien gehören nun mal den Technokraten und Verwaltungsingenieuren. Und dennoch ist in keinem anderen Ressort soviel von Gefühl und Empfindung die Rede wie dort.
Erst im Sommer sorgte eine solche Gefühlsäußerung für Diskussionsstoff. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul klagte angesichts eines Urteils des OVG Münster, wonach die voreilige Abschiebung eines als »islamistischer Gefährder« eingestuften Tunesiers evident rechtswidrig war, Gerichte seien nicht nur dem Recht, sondern auch dem »Rechtsempfinden der Bevölkerung« verpflichtet. Eine Formulierung, die nicht zufällig an zwei eng miteinander verwandte Begriffe anknüpft: das »gesunde Volksempfinden« und die »gefühlte Sicherheit«.

gesundes volksempfinden

Das gesunde Volksempfinden schrieb als unbestimmter Rechtsbegriff das Primat des Politischen über das Recht im NS-Staat fest
vgl. Dirk Burczyk, Granatwerfer für die Polizei, in Bürgerrechte & Polizei, CILIP 116, Juli 2018, 13. Die »alte« MP 5 hatte eine entsprechende »Einsatzreichweite« von 75 Metern und wurde für Schusswechsel mit RAF-Mitgliedern bundesweit angeschafft.

Die Innenminister und Polizeibehörden der Länder könnten also zufrieden sein. Der Trend sinkender Kriminalitätsraten auch in Ballungsräumen und Städten setzt sich fort und das trotz der vielbeklagten personellen und finanziellen Engpässe der Polizeibehörden. Wären da nur nicht wieder die Gefühle der Bevölkerung – oder ist es in Wirklichkeit doch nur der alte Wunsch aller Polizeibehörden nach mehr Zugriffsrechten, weniger Kontrolle und besserer Ausrüstung?

Wie wirkmächtig das Konstrukt des ‚gesunden Volksempfindens‘, wenn auch in sprachlicher Abwandlung, ist, zeigten bspw. die Reaktionen auf den sog. BAMF-Skandal, bei dem angeblich 1.200 Antragsteller zu Unrecht einen positiven Asylbescheid von der Bremer Außenstelle der Behörde erhalten haben. Einer im Mai von Die Welt in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage zufolge misstrauten deshalb knapp 80 Prozent der Befragten der Entscheidungspraxis der Behörde, woraufhin sowohl Bundesinnen und Heimatminister Horst Seehofer (CSU) als auch der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) eine »Vertrauenskrise« der Bevölkerung in die Rechtsprechung und Behördenpraxis sahen und »Konsequenzen« forderten (Seehofer) bzw., »dass so etwas nicht mehr möglich ist« (Pistorius). Die Überprüfung der Akten ergab allerdings, dass die Entscheidungen fast ausnahmslos sachlich richtig gefällt wurden.

Entwürfe für neue Landespolizeigesetze vorgelegt oder bereits umgesetzt, die weitgehende Kompetenzerweiterungen der Polizeibehörden und damit einhergehend tiefgreifende Grundrechtseinschränkungen mit sich bringen. Bayern, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Hessen taten dies bereits 2017 (und werden evtl. nachlegen), Sachsen, Niedersachsen und NRW haben einen Entwurf für ein überarbeitetes Polizeigesetz eingebracht, Brandenburg, Hamburg, Sachsen-Anhalt und das Saar-and haben ein entsprechendes Gesetz angekündigt, in Bremen wurde ein Ende 2017 eingebrachter Entwurf nur vorerst zurückgezogen, in Schleswig-Holstein und Berlin streiten die Regierungskoalitionen noch darüber und einzig Thüringen sieht keinen Handlungsbedarf. Bayern hat dem im Sommer 2017 verabschiedeten Polizeiaufgabengesetz (PAG) bereits eine weitere Reform folgen lassen, die Ende Mai 2018 verabschiedet wurde. Schließlich ist im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vorgesehen, ein »Musterpolizeigesetz« auszuarbeiten, unter Federführung des BMI und nicht, wie bereits 2017 die Innenministerkonferenz beschlossen hatte, »unter Beteiligung des Bundesinnenministeriums«.

(…)

 

Thomas Uwer ist Geschäftsführer im Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen und mit Mandy Schultz befreundet.

 

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