Offener Brief an den bayerischen Justizminister i.S. JVA Gablingen

Die Würde des Menschen ist unantastbar. 
Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. 
(Art. 1 Abs. 1 GG) 

Offener Brief der Initiative Bayerischer Strafverteidiger*innen an den bayerischen Justizminister Eisenreich

München, 1. November 2024

 

Sehr geehrter Herr Staatsminister der Justiz Eisenreich, 

die aktuellen Vorwürfe im Zusammenhang mit der langfristigen und menschenunwürdigen Unterbringung Gefangener im besonders gesicherten Haftraum teils ohne jegliche Kleidung, teils ohne Nahrung, teils nur mit einem Glas Wasser pro Tag, decken ein System auf, das seitens des Staatsministeriums frühzeitig hätte aufgedeckt werden können und müssen, nachdem ausweislich der Presseberichterstattung bereits in der Vergangenheit Beschwerden erhoben wurden. 

Nach der Strafanzeige der Kollegin Alexandra Gutmeyr aus Augsburg hat sich eine ehemalige Anstaltsärztin aus der JVA Gablingen zu Wort gemeldet und die Vorwürfe bestätigt. Auch der Geistliche der JVA Gablingen hat in der Folge die Vorwürfe bestätigt. 

Selbstverständlich gilt für alle Beschuldigten die Unschuldsvermutung. 

Die Vorwürfe hätten aber bereits frühzeitig aufgegriffen werden können, nachdem sich im vergangenen Jahr die Anstaltsärztin an das Ministerium gewandt hat. Die gesetzlich vorgesehene aufsichtliche Kontrolle hat gleichwohl nicht stattgefunden. Damit, dass Sie nun – wie am 31.10.2024 im Rahmen Ihres Statements geschehen – die Verantwortung dafür an die Anstaltsärztin zu delegieren, da sie weitere Nachfragen nicht beantwortet haben soll, machen Sie es sich zu einfach und werden Ihrer Funktion als Staatsminister der Justiz nicht gerecht. 

Denn nach allem, was derzeit bekannt ist, war die aufsichtsrechtliche Kontrolle in Ihrem Haus offenkundig unzureichend. Stehen Menschenrechtsverstöße von staatlicher Seite im Raum, 

ist die Schwelle für eine aufsichtsrechtliche Kontrolle und Intervention auch erreicht, bevor diejenige für ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren überschritten wird. Auch wenn von Seiten der Staatsanwaltschaft kein Anfangsverdacht bejaht wurde, hätten bereits die ersten Beschwerden Anlass und Gelegenheit für das Ministerium gegeben, die Vorwürfe genauestens zu überprüfen und den Missständen zu begegnen. Wir fordern Sie deshalb auf, uns mitzuteilen, welche konkreten Schritte Sie unternehmen werden, um künftig einen adäquaten Umgang mit derartigen Hinweisen zu gewährleisten. 

Gefangene haben in diesem Land keine wirksame Lobby. Das muss sich wieder ändern! Art. 1 Abs. 1 GG gilt für jedermann. 

Wir Verteidigerinnen und Verteidiger versuchen, soweit uns weniger gravierende Sachverhalte von unseren Mandantinnen und Mandanten mitgeteilt werden, derartige Vorgänge im Einzelfall aufzuklären. Bereitschaft und Interesse an einer öffentlichen oder nur weitergehenden Thematisierung von Missständen besteht bei den Mandantinnen und Mandanten in aller Regel nicht, weil sie fürchten, bei Bekanntwerden ihres Namens erneuten bzw. weitergehenden Repressalien ausgesetzt zu sein. 

Die Macht, die die Vollzugsbediensteten in einer Justizvollzugsanstalt über das tägliche Leben der Gefangenen haben, kennt keine Grenzen. Gefangene fürchten nicht zwingend nur strafrechtlich relevante Repressalien: Durch gehäufte Zellenkontrollen, verkürzte Besuchszeiten aufgrund angeblich organisatorischer Abläufe oder auch eine besonders intensive Personenkontrolle vor / nach Besuchen oder eine Ungleichbehandlung in anderen Bereichen kann unter dem Deckmantel der ordnungsgemäßen Dienstausübung das Leben der Gefangenen massiv beeinträchtigt werden. 

Auf diese Weise schützt sich das System selbst. Das darf nicht sein! 

Uns sind mindestens zwei Fälle aus der JVA Gablingen bekannt, in denen die Mandanten unserer Kolleginnen vergleichbare Vorfälle berichtet haben, aber eine Strafanzeige letztlich aus den genannten Gründen bisher nicht erstattet haben. In beiden Fällen wird derzeit geprüft, ob nunmehr Strafanzeige erstattet wird. 

Die jetzigen Vorwürfe müssen daher Anlass sein, die Aufsicht über die Justizvollzugsanstalten auszuweiten und die Disziplinarpraxis der Justizvollzugsanstalten sowie die vermeintlichen „Schutzmaßnahmen“ für Gefangene auf den Prüfstand zu stellen. 

Wir fordern, eine sinnvolle Möglichkeit anonymer Mitteilungen einzurichten, damit sich Gefangene ohne Angst vor weiteren Repressalien an das Ministerium wenden können. 

Wir fordern weiter, die Berichtspflichten im Zusammenhang mit der Unterbringung im sog. „bgH“ nicht nur vorübergehend, so wie aktuell in Bezug auf die JVA Gablingen – Bericht bei jeglicher Anordnung in der Unterbringung im „bgH“, unabhängig von der Dauer –, sondern in 

Bezug auf alle Justizvollzugsanstalten in Bayern strenger auszugestalten und beispielsweise schon ab einer Unterbringung von mehr als 12 Stunden (statt bisher 72 Stunden) auszulösen sowie die Unterbringung stündlich ärztlich überprüfen zu lassen. 

Wir fordern darüber hinaus, Mindeststandards für die Unterbringung im „bgH“ festzulegen, die die Rechte der Gefangenen uneingeschränkt schützen. Eine durchgehende Kameraüberwachung alleine zudem ist wirkungslos, wenn Gefangene sich dennoch ungehindert selbst verletzen können. 

Und wir fordern, auch weil die Gefangenen aufgrund teils sehr langer Untersuchungshaft zunehmend unter psychischen Belastungen leiden, die auch für die Haftanstalten selbst eine Herausforderung bedeuten, dass die Beamten im Vollzugsdienst wieder mehr dahingehend ausgebildet werden, welche Verantwortung ihr Beruf mit sich bringt. 

Mit freundlichen Grüßen 

Für den Vorstand 

Nico Werning, LL.M. 

Rechtsanwalt 

Fachanwalt für Strafrecht