Die Strafverteidigervereinigungen begrüßen die geplante Streichung des § 219a StGB. Der nunmehr geplante Schritt ist überfällig und korrigiert die halbherzige Reform aus dem Jahr 2019 (Einführ. § 219a Abs. 4 StGB).
Gleichwohl ginge die Initiative nicht weit genug, wenn sie sich alleine auf eine Streichung des § 219a StGB, also des Verbots der ›Werbung‹ beschränkte, den zugrundeliegenden Missstand der Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen aber unangetastet ließe. Letztlich ist der § 219a StGB, der nunmehr gestrichen werden soll, nur das Resultat des § 218 StGB und der darin festgeschriebenen grundsätzlichen Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen.
- Zu § 219a StGB
Die geplante Streichung trägt der naheliegenden Erkenntnis Rechnung, dass der Schutz der körperlichen Integrität der ungewollt schwangeren Frau genauso wenig wie der Schutz des Nasciturus dadurch erreicht werden kann, dass die Weitergabe von Information, Wissen und Kompetenz für Schwangere strafbewehrt ist. Die Strafbarkeit der als ›Werbung‹ klassifizierten Informationsweitergabe zielt bestenfalls mittelbar auf den ›Schutz‹ ungeborenen Lebens ab, indem es den Zugang zu Informationen über den Schwangerschaftsabbruch und damit zum Abbruch erschwert. Der Tatbestand des § 219a StGB ist vom zu schützenden Rechtsgut so weit entfernt, dass er – auch nach der Reform 2019 – den Zweck unmittelbar durchkreuzt: Mangelnde Information und Aufklärung schützen weder das im Körper einer schwangeren im Entstehende befindliche Leben, noch die Schwangere selbst. Das Gegenteil ist der Fall: 50 Jahre nach dem – mittlerweile als Wegstein bundesrepublikanischer Geschichte angesehenen – berühmten Titelbild des ›Stern‹ (»Wir haben abgetrieben!«) ist die Versorgung von Frauen, die einen Abbruch vornehmen lassen möchten, hierzulande derart schlecht und lückenhaft, dass Frauen erneut in liberalere Nachbarländer ausweichen. Ein Grund dafür ist, dass sich immer weniger Ärztinnen und Ärzte bereit finden, unter den gegebenen Bedingungen Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Es ist von daher nur konsequent und überfällig, die Norm ersatzlos zu streichen.
Dass die Regelung überhaupt existiert, folgt einer reinen Binnenlogik: Sie ist notwendige Folge der nach § 218 StGB definierten grundsätzlichen Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs. Der im Kaiserreich eingeführte § 218 wurde über die Jahrzehnte des Kampfes um die körperliche Selbstbestimmung der Frau mehr schlecht als recht angepasst, ohne zugleich den grundlegenden Straftatbestand zu ändern. Damit ist Deutschland im internationalen Vergleich auf dem gesetzgeberischen Stand Mitte des letzten Jahrhunderts stehengeblieben. Eine grundlegende Umgestaltung und im besten Falle die vollstände Streichung des § 218 StGB sollten im Zentrum der Reformen stehen. Der § 219a StGB würde sich dann ganz nebenbei mit erledigen.
- Streichung des § 218 StGB
Die Forderung der Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch ist so alt, wie der Paragraph selbst. Immer wieder hat der Gesetzgeber unter dem Druck der Öffentlichkeit Reformen unternommen, die grundlegende Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs aber unangetastet gelassen. Das Resultat ist ein in sich widersprüchliches Regelungswerk, das Schwangerschaftsabbrüche bspw. unter bestimmten Voraussetzungen als rechtswidrig aber nicht tatbestandsmäßig fasst. Diese Widersprüche sind der gesamten Auseinandersetzung um das strafrechtliche Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen inhärent und wurden auch durch die BVerfG-Entscheidungen zur Fristenregelung (BVerfGE 39, 1 und BVerfGE 88, 203) nicht aufgelöst. Diese Widersprüchlichkeit, die kein abstraktes Ärgernis ist, sondern gravierende Folgen für Frauen mit dem Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch hat, kann nicht aufgelöst werden, wenn nicht zugleich von der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs abgerückt wird.
Nach Auffassung der Strafverteidigervereinigungen behandelt die Regierungskoalition mit dem vorgelegten Entwurf einer Streichung des § 219a StGB daher lediglich ein Symptom, ohne das zugrundeliegende Problem anzugehen – so begrüßenswert ein Wegfall der schädlichen Regelung des § 219a StGB auch wäre. Die Bemühungen der Koalition sollten daher bei § 218 StGB ansetzen und die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen streichen. Damit würde der Weg aus dem Stigma des Tötungsdelikts hinaus geebnet und zugleich die Möglichkeit eröffnet, den frei gewählten Schwangerschaftsabbruch als medizinische Gesundheitsleistung durch die Kassen finanzierbar zu machen.
Zuletzt gilt im Hinblick auf die Sorge, ein aus ethischen und/oder moralischen Gründen heraus abgelehntes Verhalten erhalte damit das staatliche Siegel der ›Normalität‹, sofern es nicht strafbewehrt verboten sei, was in der Minderheitsmeinung zu BVerfGE 39,1 wiefolgt formuliert wurde, dass nämlich
»das Absehen von Strafe hier wie auch sonst nicht den Schluß aufdrängt, ein nicht mehr strafbares Verhalten werde gebilligt. Hierfür ist namentlich dann kein Raum, wenn der Gesetzgeber eine Strafvorschrift aufhebt, weil sie seiner Meinung nach wirkungslos oder schädlich ist.«