Als am 10.Mai diesen Jahres ca. 25 000 Menschen in der Münchner Innenstadt gegen das damals geplante und inzwischen von der CSU-Mehrheit im Landtag ver- abschiedete neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) demonstrierten, rieben sich viele die Augen: Wie konnte es sein, dass so viele Menschen sich für so ein abstraktes und sprödes Gesetz interessieren? Anlässlich der ersten Etappe der Renovierung des PAG im Sommer 2017, die immerhin so wichtige Neuerungen wie den theoretisch unbegrenzten Gewahrsam (Vorbeugehaft) sowie die nur polizeilich angeordnete Aufhebung der Freizügigkeit in Form von Fixierung auf den Wohnort bzw. die Ver- bannung in einen neuen Wohnort für soge- nannte »Gefährder« brachte, hatte es wenig Protest gegeben. Heribert Prantl schrieb damals einen flammenden Meinungsartikel in der Süddeutschen Zeitung, ansonsten gab es wenig öffentliche Resonanz, nicht einmal die Landtagsopposition stimmte einheitlich gegen das neue Gesetz. Das war jetzt, ein paar Monate später, ganz anders: Die Medien hatten das Thema aufgegriffen, alle paar Tage wollten eine Zeitung oder ein Sender ein Interview, das PAG schaffte es bis in die Heute-Show, sogar der Sen- der Al Jazeera fragte nach einem Gespräch über das Bavarian Police Task Law.
Fragt man nach den Ursachen des ge- wachsenen Interesses, so liegt die An- nahme nahe, dass die Menschen plötzlich
bemerkt haben, wie sich eine bewährte und angesehene Institution, dazu da, uns Bürger*innen Sicherheit und Schutz zu bieten (auch wenn sie manchmal über die Stränge schlägt), zu einer Art geheimer Kontrollmaschine zu wandeln anschickt. Das macht Angst – und es ist gleichzeitig Ausdruck der Angst der Regierungspartei, die Kontrolle zu verlieren.
Das neue PAG stattet die Polizei mit Kom- petenzen aus, wie sie noch keine deutsche Polizei seit 1945 hatte. Der Katalog der Eingriffsmöglichkeiten umfasst 37 Punkte, beginnend mit der traditionellen Identi- tätsfeststellung bis hin zu Drohneneinsät- zen, Staatstrojanern und Kontenbeschlag- nahmen. Die Zusammenschau dieser Befugnisse ergibt das Bild einer praktisch vollkommenen Kontrolle der Polizei über die Existenz der betroffenen Bürger*innen, ihre Privatsphäre, ihre Lebensweise und ihren Aufenthaltsort, ihre Kommunikation mit Freunden und Geschäftspartnern, die Personen, mit denen sie sich treffen und nicht zuletzt die Verfügungsmacht über
ihr Vermögen. Wer hier an den Begriff der Überwachungsgesamtrechnung denkt, die nach den Worten des BVerfG jedenfalls nicht zu einer Totalüberwachung führen dürfe [so z.B. BVerfGE 125, 260,323], liegt nicht falsch. Tatsächlich ist es nichts anderes.
Man sollte glauben, dass die Installation dieser umfassenden Macht der Polizei von einem Maximum an effektiver Kontrolle durch unabhängige und rechtsstaatliche Institutionen begleitet wird. Eine nähere Betrachtung des vorliegenden Gesetzes jedoch zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Es werden weder die Grenzen eingehalten, die das BVerfG gezogen hat, noch gibt es für die Betroffenen einen qualifizierten in- dividuellen Rechtsschutz, wie er in Art.103 GG, Art. 19 IV GG und Art.6 der EGMR vorgesehen ist.
Mögliche rechtsstaatliche Sicherungen könnten sein:
eine möglichst präzise und jedenfalls die Verhältnismäßigkeit der Mittel beachtende Eingriffsschwelle;
eine externe, am besten durch unabhän- gige Richter wahrgenommene Kontrolle der vorgesehenen Maßnahmen hin- sichtlich ihrer Vereinbarkeit mit den im Grundgesetz und der EMRK garantier- ten Grund- und Menschenrechten sowie hinsichtlich ihrer Notwendigkeit und Angemessenheit bzgl. der betroffenen Person und die Schlüssigkeit der über sie angestellten Gefahrenprognose; die Möglichkeit der betroffenen Bürger*innen, sich umfassend über die gegen sie vorliegenden Vorwürfe zu informieren und sich effektiv dagegen zu verteidigen und zwar wenn mög- lich bevor die Maßnahmen gegen sie ergriffen werden, jedenfalls aber mit professionellem Beistand immer dann,wenn in wesentliche Rechte eingegriffen wird wie Freiheit, Eigentum und die Grundrechte der Unverletzlichkeit der Wohnung, der Kommunikationsfreiheit, der informationellen Selbstbestimmung und der Intimsphäre.
die eingriffsschwelle der drohenden gefahr
Der bisher auch im bayerischen Polizei- recht übliche Begriff der konkreten Gefahr als Voraussetzung polizeilicher Eingriffe wurde durch das »Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen« vom 1. August 20171 zunächst nur für die dort genannten Maßnahmen durch den neu- en Begriff der drohenden Gefahr ersetzt. Durch das neue PAG wird dieser Begriff für eine Vielzahl einschneidender polizeili- chen Maßnahmen verallgemeinert. Unab- hängig davon, wie man die Berechtigung dieser genuin bayerischen Begriffsbildung im Polizeirecht einschätzt, besteht jeden- falls Einigkeit darüber, dass die Schwelle des polizeilichen Eingreifens damit ge- senkt wird. Eine nur drohende Gefahr ist weniger als eine konkrete Gefahr, die nach der Rechtsprechung dadurch ge- kennzeichnet ist, dass »im Einzelfall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ohne Eingreifen des Staates ein Schaden für die Schutzgü….
Hartmut Wächtler ist Strafverteidiger in München, Mitglied der Initiative Bayerischer Strafverteidiger*innen und war lange Jahre
deren Vorsitzender. Im bayerischen Landtag wurde er als Gutachter zum PAG gehört.
Dieser Tage erscheint im Transit-Verlag ein Band mit Berichten aus politischen Prozessen, die er als Verteidiger geführt hat.