Der nachfolgende Artikel skizziert zunächst die Arbeit der freien Straffälligenhilfe in Berlin, um im Anschluss auf die Notwendigkeit der Digitalisierung des Justizvollzuges aus der Perspektive der in den Haftanstalten tätigen Träger einzugehen.
Freie Straffälligenhilfe im Berliner Justizvollzug
Auf der Grundlage des Landesstrafvollzugsgesetzes werden im Berliner Justizvollzug in einem vergleichsweise hohen Umfang Aufgaben von freien Trägern wahrgenommen. Zu diesen Aufgaben zählen unter anderem Beratungsangebote für Gefangene, deren Bandbreite von spezifischen Angeboten für inhaftierte Frauen und schwule und bisexuelle Gefangene über Beratungsangebote für Untersuchungsgefangene, für ältere Inhaftierte und für Inhaftierte mit Alkohol- oder Schuldenproblemen bis hin zu Angeboten für Familien und Angehörige von Inhaftierten reicht. Von zentraler Bedeutung sind entlassungsvorbereitende Maßnahmen. Ein weiterer wichtiger Einsatzbereich für freie Träger betrifft die Qualifizierung von Gefangenen. Neben Berufsausbildungen, Umschulungen oder modular aufgebauten Teilqualifizierungen werden unter anderem Sprach- und Alphabetisierungskurse angeboten.
Die Finanzierung ihrer Arbeit speist sich aus unterschiedlichen Quellen: während einige Angebote im Rahmen von Dienstleistungs- oder Honorarverträgen mit den Haftanstalten realisiert werden, wird der größte Teil über Zuwendungen der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung finanziert. Allein im Jahre 2019 lag das Volumen der Zuwendungsmittel im Förderbereich »Projekte im Justizvollzug« bei über drei Millionen Euro. Im Rahmen der in diesem Jahr geförderten Projekte wurden etwa 2.800 inhaftierte Klient*innen beraten und betreut und über 900 Gefangene qualifiziert.
einsatzbereiche digitaler medien in der freien straffälligenhilfe
Vor Beginn der Corona-Pandemie spielte die Digitalisierung für die Arbeit der freien Träger vornehmlich außerhalb der Haftanstalten eine Rolle. So wurden und werden beispielsweise Ausgänge dafür genutzt, um Gefangene in den Beratungsstellen der freien Träger bei der Online-Antragstellung auf Sozialleistungen oder bei der Wohnungs- und Jobsuche zu unterstützen. Eine Ausnahme bildet das bereits seit einigen Jahren existierende und mehrere interne und externe Angebote bündelnde Beratungshaus in der Jugendstrafanstalt Berlin, indem z.B. ein Terminierungstool von freien Trägern genutzt wird, um Termine mit inhaftierten Klienten zu planen und zu vereinbaren.
Die in den Berliner Haftanstalten tätigen Träger befürworten die Weiterentwicklung der Digitalisierung im Justizvollzug mit Nachdruck. Eine wesentliche Forderung betrifft den Einsatz von Kommunikationstools wie Skype zur Aufrechterhaltung sozialer und familiärer Kontakte. Diese Forderung hat einen engen Bezug zu den Empfehlungen des Europarates von 2018 im Hinblick auf Kinder, deren Eltern inhaftiert sind, nach denen unter anderem zusätzlich zu den persönlichen Besuchen im Gefängnis der Gebrauch von Telefon und IT Technik (z.B. Videokonferenzen, Mobiltelefonsysteme, Internet inkl. Webkamera und Chatfunktionen) ermöglicht werden solle und dieser Gebrauch für die Betroffenen erschwinglich bleiben müsse.
Darüber hinaus spielen digitale Medien eine wesentliche Rolle bei der Entlassungsvorbereitung, um Antragstellungen oder die Wohnungs- und Jobsuche aus dem Vollzug heraus zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Auch für die Umsetzung zeitgemäßer Qualifizierungsangebote ist die breitere Nutzung digitaler Tools unumgänglich. Nicht zuletzt bildet die Weiterentwicklung der digitalen Kompetenzen der Gefangenen während der Inhaftierung einen wichtigen Baustein für ihre Resozialisierung.
Eine vom Verein Freiabonnements für Gefangene e.V. und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin gemeinsam organisierte Fachtagung widmete sich bereits 2017 der Frage nach dem ›Digitalen Wandel im Justizvollzug?‹ und warf einen Blick auf die Situation im europäischen Ausland und in anderen Bundesländern. So war schon damals die Digitalisierung im skandinavischen Justizvollzug vergleichsweise weit fortgeschritten, was bis hin zu einer entsprechenden gesetzlichen Verankerung in Finnland reichte. Obgleich mit dem Modellprojekt ›Resozialisierung durch Digitalisierung‹ in Berlin zu diesem Zeitpunkt bereits bundesweit Neuland betreten wurde, war etwa die Kommunikation von Gefangenen nach außen via Skype noch undenkbar.
Die im Oktober 2020 von beiden Einrichtungen erneut gemeinsam organisierte hybride Veranstaltung ›Die digitale Entdeckung des Vollzugs‹ griff die nunmehr drei Jahre zurück liegenden Diskussionen auf und ging der Frage nach dem aktuellen Stand der Nutzung digitaler Informations-, Bildungs-, Beratungs- und Kommunikationsangebote in den Berliner Haftanstalten nach.
veränderungen im zuge der corona-pandemie
Mit der Corona-Pandemie hat sich vieles geändert. Zur Minimierung des Infektionsrisikos blieb den externen Mitarbeitenden mit Ausnahme von Angeboten wie der Entlassungsvorbereitung, der religiösen Betreuung von Gefangenen oder der Qualifizierung von Mitte März bis Anfang Juni 2020 der Zutritt in die Haftanstalten verwehrt. Während die Arbeit der wenigen verbliebenen Träger in den Gefängnissen nahezu unverändert fortgeführt wurde, mussten alle anderen ihre Angebote auf Fernberatungen via Telefon, Brief oder E-Mail umstellen.
Der Einsatz digitaler Medien in den Haftanstalten wurde ausgeweitet, was zu Erleichterungen und Verbesserungen sowohl für die Gefangenen als auch für die Mitarbeitenden geführt hat. Über Videotelefonate konnten soziale und familiäre Kontakte aufrechterhalten werden, Telefonkontingente wurden ausgeweitet und Einfachhandys zur Verfügung gestellt. Die Möglichkeit telefonischer Beratungen durch externe Träger wurde rege genutzt. Gleichzeitig wurde deutlich, wie wichtig der persönliche Kontakt im privaten Bereich ebenso wie im Beratungskontext nach wie vor ist.
Aus der Perspektive der Träger der freien Straffälligenhilfe vollzogen sich durchaus positive Veränderungen: Termine beim Bürgeramt für Anmeldungen oder die Beantragung von Personalausweisen konnten niedrigschwellig und zeitnahe gebucht werden. Auch die Beantragung von Sozialleistungen gestaltete sich weitaus unkomplizierter als zuvor, indem Unterlagen per E-Mail an die Jobcenter übermittelt und postwendend beantwortet oder Erklärungen zu Kostenübernahmen direkt an die für Haftentlassene vorgesehenen Unterkünfte geschickt wurden. Vom Landesamt für Einwanderung wurden die für viele nicht-deutsche Gefangene so wichtigen Aufenthaltsdokumente per E-Mail bearbeitet. Um den Übergang von der Haft in die Freiheit reibungsloser zu gestalten, war eine solch flexible Verfahrensweise seitens der freien Straffälligenhilfe bereits seit Jahren empfohlen worden, schien aber bis vor wenigen Monaten noch unrealisierbar zu sein.
empfehlungen der initiative freie straffälligenhilfe zum thema digitalisierung im justizvollzug
Die Weiterentwicklung der Digitalisierung im Berliner Justizvollzug wird von den Trägern der freien Straffälligenhilfe ausdrücklich begrüßt. Ein zentrales Anliegen ist die nachhaltige Umsetzung der initiierten Maßnahmen. Basierend auf den in den vergangenen Monaten gewonnenen Praxiserfahrungen hat eine verbandsübergreifende Initiative Empfehlungen zur Digitalisierung formuliert und ist darüber im Austausch mit der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung.
Die Nutzung von Videotelefonie (Skype) in den Haftanstalten sollte ausgebaut und auch nach dem Abflauen der Pandemie fortgeführt werden. Nicht-deutsche Inhaftierte bzw. Inhaftierte mit unzureichenden Kenntnissen der deutschen Sprache sollten in die Nutzung digitaler Angebote unbedingt einbezogen werden. Für diese Personengruppe ist die Aufrechterhaltung des Kontaktes zu familiären und anderen Netzwerken im Herkunftsland von großer Bedeutung.
Wie sich gezeigt hat, wurde das Angebot der telefonischen Beratung von vielen Gefangenen sehr gut aufgenommen und rege genutzt. Es gab jedoch auch Gefangene, die auf diesem Wege nicht erreicht wurden. Für diese sollte nach Lösungen zur Erreichbarkeit gesucht werden.
Darüber hinaus wird empfohlen, die telefonische Beratung durch die Träger als zusätzliches Angebot auch zukünftig zu ermöglichen. Hierfür bedarf es der Bereitstellung entsprechender Telefonkontingente für die Gefangenen. In Anstalten des Offenen Vollzuges empfiehlt sich die zumindest temporäre Genehmigung der Nutzung eigener Mobiltelefone. Die in den Haftanstalten eingerichteten Umkehr-Isolierstationen für besonders gefährdete Gefangene dürfen beim Ausbau von digitalen Kommunikationsmöglichkeiten nicht außer Acht gelassen werden. Da die hier Untergebrachten nicht mehr am normalen Anstaltsleben teilnehmen können, sollte zur Vermeidung negativer Isolationsfolgen nach Möglichkeiten des gesicherten Zugangs zum Internet, zur Skype-Telefonie mit Beratungsstellen oder zu Online-Lern- und Beschäftigungsangeboten gesucht werden.
Perspektivisch sollte die digitale Infrastruktur der Haftanstalten ausgebaut werden, um Gefangenen als zusätzliches Angebot beispielsweise auch videobasierte Beratungseinheiten anbieten zu können. Sowohl im Rahmen der Beratungs- als auch der Qualifizierungsangebote empfiehlt sich die Erprobung erweiterter Möglichkeiten des digitalen Lernens (online Fortbildungen, E-Learning, online Fitnessangebote, digitale Angebote der IHK usw.). Das aktuell im Berliner Justizvollzug umgesetzte Projekt ›Resozialisierung durch Digitalisierung‹ bietet hierfür gute Ausgangs- und Anknüpfungspunkte.
Irina Meyer arbeitet seit 2015 als Fachreferentin für Straffälligen- und Opferhilfe im Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin. In dem Verband sind 15 Träger der freien Straffälligenhilfe mit Beratungs- und Qualifizierungsangeboten innerhalb und außerhalb des Justizvollzugs organisiert.