… weil er sich selbst verachtet, will (dieser Mann), daß andere hart behandelt werden; sein Hang zu strafen ist offensichtlich eine Projektion der eigenen Schuldgefühle. Theodor W. Adorno, Studien zum autoritären Charakter, 238
Als wir dieses Panel und das ONLINE FORUM insgesamt geplant haben, hegten wir noch die Hoffnung, der Strafverteidigertag könnte Ende Oktober als Präsenzveranstaltung stattfinden. Es schloss sich von daher aus, die Themen des Strafverteidigertages auf das FORUM zu übertragen und online zu wiederholen, was mit etwas Glück präsent Ende Oktober diskutiert worden wäre.
Wie Sie – wenn Sie zum Strafverteidigertag angemeldet waren – sicherlich wissen, sollte sich dort eine Arbeitsgruppe mit den aktuellen Entwicklungen, den neusten Ups and Downs im Sexualstrafrecht befassen: Upskirting, Downblousing und – das neuste – Catcalling. Und natürlich dem Entwurf für ein Gesetz gegen die sexualisierte Gewalt an Kindern.
In diesem Panel wird es dagegen nicht so sehr um die konkrete Sinnhaftigkeit strafprozessualer Normen im Bereich des Sexualstrafrechts und die allerneusten Erfindungen sexueller Devianz gehen. Upskirting, Downblousing, Catcalling etc. sind, das nur am Rande, keine grundlegend neuartigen Handlungen. Der Besuch einer beliebigen Gemäldegalerie dieser Republik belegt, dass das Downblousing bspw. im Barock und der vorausgehenden Spätrenaissance bereits sehr beliebt war. Neu sind vielmehr die Medien, mit deren Hilfe sie von jedermann vollzogen werden können. Das macht es nicht sympathischer und zugleich nicht leichter zu ertragen, dass es scheinbar Zeitgenossen gibt, die mit den mobilen Hightechgeräten, die wir alle in den Taschen tragen, Busen oder Schlüpfer filmen oder fotografieren. Das Smartphone hat die schäbige Geilheit des Voyeurs zwar demokratisiert, schäbig bleibt sie trotzdem.
Aber darum soll es heute eigentlich nicht gehen, sondern viel allgemeiner um die Wechselwirkung von Sexualität und Strafe, um Sexualität als Triebfeder auch gesellschaftlichen Handelns und Strafe und Strafbedürfnis als Versuch, das Sexuelle einzuhegen.
Das Sexualstrafrecht ist ein Teil des materiellen Strafrechts, der in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten so viele Reformen erlebt hat, wie kaum ein anderer Bereich. Es ist zugleich aber auch ein Bereich des Strafrechts, an dem sich besonders gut die Veränderung gesellschaftlicher – also öffentlicher – Wahrnehmung von Handlungen und Haltungen ablesen lässt, die in der bürgerlichen Gesellschaft traditionell in den Bereich des Privaten verwiesen werden.
In der Tabuisierung von Sexualität und im Verweis in die dunklen Nischen, von denen jeder weiß aber keiner spricht, wurde kulturell die Leugnung der von der Psychoanalyse maßgeblich herausgearbeiteten sexuellen Triebfeder nicht nur privaten sondern auch gesellschaftlichen Handelns konserviert. Bis in die frühen siebziger Jahre – 4. StrRG von 1973 – war das Sexual- vor allem ein Moralstrafrecht, bei dem gute und weniger gute Sitten behandelt und sanktioniert wurden. Der Gesetzgeber hat damals mit dem Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung einen Weg gewiesen, der aus der Falle sexueller Moral hinausweisen kann. Er hat ein Rechtsgut formuliert, das heiliger in einer säkularen Welt nicht sein könnte: Der Anspruch darauf, selbst zu entscheiden, was Glück ist und was Qual.
Dass das zu schützende Rechtsgut auch fortan nicht alleine die sexuelle Selbstbestimmung war, sondern gleichwohl weiterhin die gesellschaftliche Sexual- und Reproduktionsmoral, zeigt u.a. die Tatsache, dass es bis 1994 dauerte, bis das Schutzalter homosexueller Handlungen im deutschen Strafrecht mit dem 29. Strafrechtsänderungsgesetz angepasst und der sog. Schwulenparagraf 175 StGB aufgehoben wurde.
Unabhängig davon blieb und bleibt das Sexualstrafrecht ein Bereich, in dem nicht nur die sexuelle Selbstbestimmung, sondern das Sexuelle insgesamt als gesellschaftliches Thema verhandelt wird. Denn auch dort, wo es um den Schutz sexueller Selbstbestimmung geht, dreht sich die öffentliche Wahrnehmung – oder nennen wir es ganz passend: Erregung – und die ihr folgenden rechtspolitischen Aktivitäten nicht alleine um den Schutz der konkret bedrohten sexuellen Selbstbestimmung, sondern in der Regel werden hier ganz andere Themen und Problembereiche verhandelt, die – wie sollte es anders sein – natürlich auch sexuell konnotiert sind. Man denke an die Silvesternacht von Köln oder genauer: An die gesellschaftliche Erregung um die Silvesternacht von Köln. Die damaligen Titel deutscher Medien wirken aus der Distanz betrachtet, wie Karikaturen der steten Ambivalenz des Sexuellen zwischen Geilheit und Unberührtheit: weiße Frauenkörper, beschmutzt und besudelt von schwarzen Grabschehänden, eine schwarze Hand als Negativbild der weiblichen Scham, (Nord)Afrikaner als sexuelle Triebhorde.
Oder die Sache mit Gina Lisa Lohfink, die sicher nicht derart prominent geworden wäre, hätte der Fall nicht genau jene sexuell-voyeuristischen Bedürfnisse dabei angesprochen, die wenigstens einen Teil des kritisierten Macht-/Ohnmachtverhältnisses zwischen den Geschlechtern ausmachen.
Das sagt wenig über das tatsächliche Geschehen aus, mag man einwenden. Und das stimmt. Aber es sagt viel aus über dessen gesellschaftliche Wahrnehmung und damit die – öffentliche und rechtliche – Rekonstruktion oder genauer: Produktion von Wahrheit.
Immer dann, wenn das Sexuelle sich im öffentlichen Diskurs Bahn bricht, wird offenkundig, was latent vorhanden ist: Dass nämlich das Sexuelle als unauflösbarer Kernkonflikt, als beständiges Glücks-Versprechen und Enttäuschung zugleich, als in vielen Facetten nuancierte Triebkraft des Zwischenmenschlichen sich nicht in Museen oder Pornoheftchen bannen lässt, sondern ständig präsent und zugleich unverstanden bleibt.
Dem Unverstandenen aber begegnet die unaufgeklärte Gesellschaft mit dem Verbot, in der Sexualität: mit dem Tabu. Und genau hier kommt das Strafrecht zum tragen. Es soll verbieten und bestrafen, was nicht verstanden wird – und uns zugleich so nahe ist.
Hier sind wir an der vielleicht erstaunlichsten Schnittstelle zwischen Sexualität und Strafe, Sexualität und Strafrecht angekommen: Strafe, normiert durch das Strafrecht, ist der veräußerlichte Ausdruck eines komplexen Verhältnisses von Schuld und Verlangen, während der Strafe selbst, konkret: der Bestrafung, ein nur mehr schlecht als recht sublimierter sexueller Impuls innewohnt. Entsprechend drastisch fallen die Strafforderungen bei sexuell motivierten Straftaten aus. Die Bestrafung der Lust mischt sich mit der Lust am Strafen. Erschlägt der Vater im Suff sein Kind, dann machen sich Betroffenheit und Sprachlosigkeit breit, tötet er sein Kind aus sexuellem Verlangen, dann Wut, Rachegelüste, körperliche Bestrafungswünsche.
Es geht also um die besondere Triebkraft, die wir bei den öffentlichen Debatten um Sexualstraftaten stets beobachten können. Und da reicht die immer wieder gerne geführte Rede vom »Verstärkerkreislauf der Empörung« genauso wenig aus wie das Argument des Populismus, um zu erklären, warum die strafrechtliche Normierung sexueller Handlungen in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen derartigen Auftrieb erfahren hat. Auch der Populist ist ja nur erfolgreich, wo es ihm gelingt, die Ängste und Wünsche, den inneren Konflikt von Menschen anzusprechen. Und in den Redaktionsstuben, wo die Geschichten vom Kinderschänder entstehen, sitzen auch nicht nur abgeklärte Zyniker, die einzig der Auflagenstärke wegen reißerische Kampagnen planen, sondern Menschen, die die gleichen Ängste, dieselben Konflikte, dieselben mal besser mal schlechter unterdrückten Triebe in sich tragen. Wir wollen daher bspw. fragen: Was treibt den Rentner an, der vor dem Landgericht in Dresden im Nieselregen steht, die Faust geballt in der Tasche, weil drinnen ein mutmaßlicher ›Kinderschänder‹ vor Gericht steht, was er wiederum aus der lokalen Regenbogenpresse erfahren hat, irgendwo zwischen der nackten Sabrina aus Bautzen auf der Titelseite und der Werbeanzeige für die Teeny-Analita im Lokalteil.
Thomas Uwer ist Geschäftsführer im Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen