ein richterleben in schwerer zeit
Im Jahre 2018 wurde eine nicht gerade frei von Selbstmitleid geschriebene Biographie eines ehemaligen hohen Richters u. a. von seinem Enkel, der selbst Richter ist, unter dem Titel ›Ein Richterleben in schwerer Zeit‹ verlegt. Die Zeit mag vorangeschritten sein, richterliche Larmoyanz ist hingegen nicht vergangen. Das Richterleben ist immer noch schwer und was dem Richter damals seine autobiographische Klage war, ersetzt heutzutage eine nicht repräsentative Selbsthilfegruppe, die ihre therapeutischen Sitzungen unter der Firmierung ›Strafkammertag‹ abhält. Die Sitzungen finden selten statt, aber sicherlich nicht zufällig meist dann, wenn Bundestagswahlen anstehen in der Hoffnung und Erwartung, dass das dort geäußerte Klagen von künftigen Koalitionären erhört und das tatrichterliche Leid legislatorisch gelindert werden möge. Das will natürlich wohlvorbereitet sein. Und so kümmert sich ein Arbeitskreis ›Zukunft des Strafprozesses‹, der sich aus den OLG Präsident*innen sowie der Präsidentin des BGH besteht, im Vorfeld darum, den geplagten Richter*innen den therapeutisch notwendigen Weg zu ebnen.
Dieses Jahr soll dies mit dem folgend dokumentierten Fragebogen (nur in der Printausgabe) geschehen, mit dem der stete Quell richterlichen Trübsinns, die Strafverteidigerschaft, endgültig domestiziert werden soll. Nach dem Erfolg des Strafkammertags II, der an nur einem Tag mit einer an nordkoreanische Akklamationsveranstaltungen erinnernden Disziplin der anwesenden Strafkammervorsitzend*innen Neuerungswünsche zum Befangenheits- und Beweisantragsrecht sowie zur Besetzungsrüge nicht nur (vermeintlich) diskutierte, sondern auch konkret beschloss und damit offene Ohren bei den Koalitionsverhandlungen fand (seit 2019 mit entsprechendem Niederschlag in der StPO), steht nun die nächste Etappe an. Endlich Ordnungsmittel für die Anwaltschaft, so heißt es wohl im diesjährigen Programm! Pünktlich zur kommenden Bundestagswahl soll der Strafkammertag III einen neuen Wunschzettel auf den Verhandlungstisch künftiger Koalitionspartner drapieren. Prominent soll es anscheinend um de lege ferenda zu schaffende Ordnungsmittel gegen Strafverteidiger*innen bei empfundener Ungebühr in richterlicher Hand gehen. Zur Problembeschreibung soll dabei die pseudoempirische Erhebung mittels des anliegenden Fragebogens den staunenden Koalitionären als dringender richterlicher Notruf untergejubelt werden.
Damit erinnert die thematische Abfolge der Begehrlichkeiten der vergangenen und künftigen Strafkammertage an den Ablauf polizeilicher Zugriffe, allerdings mit der Zielperson Strafverteidigung: Erst einmal zur Eigensicherung durch Beschränkung essentieller Antragsrechte entwaffnen (Strafkammertage I + II) und dann Hände auf den Rücken und die 8 in Form neuer Ordnungsmittel gegen »Ungebühr« anlegen (Strafkammertag III). Der feuchte Traum insbesondere unsouveräner und prozessual schwacher Richterpersönlichkeiten soll Wirklichkeit werden. Ordnungsgelder und gar -haft (?) für ungebührliche Anwälte! Autobiographien wie der erwähnte Titel ›Ein Richterleben in schwerer Zeit‹ sollen der Vergangenheit angehören und künftig nicht mehr geschrieben werden müssen.
Aber zunächst bedarf es einer (pseudo-)empirischen Basis, um den insoweit unbeleckten Damen und Herren Abgeordneten das exotische Problem nahezubringen. Dazu wird der folgende Fragebogen (nur in der Printausgabe) an alle Strafkammervorsitzend*innen bis in die entlegensten Winkel der Republik mit der Bitte um alsbaldige Beantwortung verschickt (auf wessen Kosten eigentlich?). Dass die gewählte Methodik dabei auch ungeachtet der Anonymität jeden Anspruch an sorgsame richterliche Tatsachenfeststellung fahren lässt, scheint den Autoren frei nach Bill Clinton »It´s about the results, stupid!« egal.
Das gilt nicht nur für die Fragestellungen, bei denen es schon daran fehlt abzufragen, wie der von der Verteidigung (an jedem Sitzungstag?) gedemütigte Richter auf die Unbotmäßigkeiten eigentlich reagiert haben will und wie sich daraufhin wiederrum die Verteidigung verhielt. Es gilt insbesondere für die im Fragebogen genannte Möglichkeit, diesen unter einem Link auch bequem online zu beantworten. Denn diese Möglichkeit stand jedermann offen, der diesen Link anklickte, egal ob Richter*in oder nicht. Als für die gebeutelte Richterseele therapeutisch besonders wertvoll erwies sich außerdem die digitale Möglichkeit, an der Befragung je nach eigenem Frustlevel beliebig oft teilzunehmen.
„Der Fragebogen verheißt schwachen und prozessual untauglich agierenden Richtern endlich die bislang vermisste Anteilnahme an ihrer täglichen Überforderung.“
In Zeiten, in denen die methodisch einwandfreie Studie von Altenhain et al den amtierenden Tatrichter*innen zu einem nicht unerheblichem Anteil eine Hangtäterschaft zur Verletzung der verfassungsgerichtlich vorgegebenen Verständigungsregeln attestiert, kommt eine solche Befragung gerade recht. Lenkt sie doch dankbarerweise von der Reflektion und Diskussion um die tatrichterliche Rechtstreue ab und weist in die Richtung, die sich stets als taugliches Frustventil und wohltuender Balsam für die immer wieder unverstandene Tatrichter*innenseele erwiesen hat: die des Angeklagten und seiner Verteidigung.
„Altenhain hat den amtierenden Tatrichter*innen zu einem nicht unerheblichem Anteil eine Hangtäterschaft zur Verletzung der verfassungsgerichtlich vorgegebenen Verständigungsregeln attestiert.“
Denn welche Richterpersönlichkeit wird einen solchen Fragebogen wohl zuvörderst beantworten? Diejenige, die ihr prozessuales Handwerk versteht und deren professionelle Prozessführung allen Verfahrensbeteiligten Respekt abnötigt? Oder eher diejenige, die etwa vor der letzten Reform schon vor einer die Hilfsschöffenbeurlaubung kritisierenden Besetzungsrüge zitterte, welche zwar bekanntermaßen allenfalls bei Willkür beschieden sein konnte, aber dennoch vom Strafkammertagen I + II als über dem Prozess schwebendes unerträgliches Damoklesschwert empfunden wurde? Die Antwort liegt auf der Hand:
Schwach und prozessual untauglich agierende Richter*innen dürften sich ihrer Schwächen durchaus bewusst sein. Sie werden den Fragebogen als überfällig empfinden. Die Kreuzchen zu setzen verheißt ihnen endlich die bislang vermisste Anteilnahme an ihrer täglichen Überforderung. Denn Widerspruch, Dazwischenreden und gegebenenfalls auch lautstarker Protest wird ihnen in foro ungleich öfter begegnen als ihren souveräneren und prozessual professionell agierenden Kolleg*innen. Überfordert ist der Fragebogenadressat nicht selten bereits mit den Verständigungsregeln, die ihm zu kompliziert erscheinen (vgl. Altenhain et al). Widerspruch der Verteidigung, gerade wenn entschieden und sogar berechtigt vorgetragen, wird dann nicht selten zuvörderst als Kränkung des Selbstbilds und als schmerzliches Aufzeigen der eigenen Überforderung empfunden. Derartige Verletzlichkeiten bei Richter*innen, die das schärfste Schwert staatlicher Gewalt führen, seitens der Präsident*innen der OLGe und des BGH zum künftigen Kompass rechtspolitischer Forderungen zu erheben, kann man nur als Armutszeugnis einer Vision für die Zukunft des Strafprozesses bezeichnen. Und dies völlig unabhängig von der schon mitleiderregenden gewählten Methodik, die bereits das Bestehen sozialwissenschaftlich ausgerichteter universitärer Proseminare gefährden würde.
Das Richterleben scheint wie der Titel der eingangs erwähnten Biographie immer schwer gewesen zu sein. Und auch heute ist es noch unnötig schwer! Will man doch als Richter stets das Beste und ist im Selbstbild qua Amt und per Gesetz gerecht, zumindest auf der Seite der Gerechtigkeit. Darf es da überhaupt Steine auf dem Weg zum Urteil geben? Wie schief man mit einem solchen Selbstbild allerdings liegen kann zeigt sich, wenn man die Biographie ›Ein Richterleben in schwerer Zeit‹ aufschlägt. Diese ist eine zum Ende des Zweiten Weltkriegs wohl bis zur Gefangennahme des Autors durch die Alliierten entstandene Niederschrift eines seit 1938 am Reichsgericht in Zivilsachen tätigen Richters, der seit 1933 NSDAP Mitglied war und sich mit Untergang des Dritten Reiches in den von ihm empfundenen Erschwernissen seiner Tätigkeit im Nationalsozialismus, dem er anzugehören nach eigenen Worten »gezwungen war«, selbst bespiegelt. Das Leid, das der Unrechtsstaat, dem er an höchster Stelle im vermeintlichen Namen der Gerechtigkeit diente, gerade durch die Justiz über die Verfolgten und Rechtsunterworfenen brachte, scheint im Text allenfalls am Rande auf.
Widerworte und Aufsässigkeit von Strafverteidiger*innen an der Seite des Angeklagten mögen gerade bei selbstgerechten Richter*innen stets unter dem Verdacht eines ungerechten, unlauteren Ansinnens stehen und als Bremse auf dem (eigenen) Weg zur Gerechtigkeit empfunden werden. Aber so wenig man einen Wagen ohne Bremsen besteigen sollte, so wenig ist selbstmitleidige richterliche Larmoyanz geeignet, als Leitschnur zur Gestaltung des Strafprozesses zu dienen.
Mögen auch die Strafverteidigertage nicht frei von rechtspolitischem Selbstmitleid unserer Zunft sein; die Peinlichkeit derartiger Fragebögen zur pseudoempirischen Veredelung unserer Anekdoten haben wir uns bisher erspart und sollten es auch künftig tun. Wer unter uns derartiges dennoch vermisst, hat sich sicher nicht die Gelegenheit zur kostenlosen, gegebenenfalls auch mehrfachen digitalen und unkontrollierten Teilnahme am untenstehenden Fragebogen unter dem angegebenen Link nicht nehmen lassen.
Trauriger Alsberg ist Strafverteidiger in Berlin und tritt dort üblicherweise unter anderem Namen auf.
Der in der Printausgabe dokumentierte Fragebogen kann (von Richter*innen) auch online ausgefüllt werden:
https://forms.gle/DhhAm1CsRamS1sCm8